Navigation und Service

Fragen und Antworten zu Sinti und Roma

  • In Deutschland leben schätzungsweise 80.000 bis 140.000 Sinti und Roma. Hiervon besitzen etwa 70.000 die deutsche Staatsbürgerschaft. In Europa leben 10 bis 12 Millionen Roma, in der EU schätzungsweise sechs Millionen. Die Roma bilden damit die größte ethnische Minderheit in Europa.

    Mehr Informationen sowie eine Übersicht über den (geschätzten) Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung verschiedener europäischen Staaten finden Sie auf der Webseite des Europarates.

  • Nein. Roma sind keine homogene Bevölkerungsgruppe, sie unterscheiden sich beispielsweise in der Sprache, Kultur, Geschichte und Religion. Auch ihre sozio-ökonomische Lage unterscheidet sich in Europa sehr. Obwohl „Roma“ als Überbegriff verwendet wird, kann daher nicht von „den“ Roma gesprochen werden. Der Wissenschaftler Klaus-Michael Bogdal, der seit vielen Jahren über das Bild der Roma in der Literatur forscht, spricht daher von „Romvölkern“ oder „Romgruppen“. Als Roma werden auch Menschen bezeichnet, die sich selbst als Kalderasch, Manouches, Kalé, Ashkali, Gitanos und Sinti verstehen. Einige Gruppen wie die Irish Travellers (Pavee) und die Jenischen zählen nicht zur ethnischen Minderheit der Roma. In Deutschland wird die Doppelbezeichnung „Sinti und Roma“ beziehungsweise „Roma und Sinti“ verwendet. Die Bezeichnung Sinti findet sich dabei lediglich im deutschen Sprachraum (Deutschland, Schweiz, Österreich), den Beneluxstaaten und in einigen skandinavischen Ländern.

    Ein Glossar finden Sie auf der Webseite des Europarates.

  • Die indische Herkunft gilt aufgrund der Sprachverwandtschaft von Romanes mit nordwestindischen Sprachen als nachgewiesen. Roma leben spätestens seit dem 14. Jahrhundert in Europa. Sinti leben seit dem 14. Jahrhundert auf deutschsprachigem Gebiet. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts leben Roma in Deutschland.

  • Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts wurden Sinti und Roma immer wieder verfolgt und ausgegrenzt. Im Porajmos (Romanes für den Völkermord während der NS-Zeit) wurden hunderttausende Roma systematisch ermordet. Erst 1982 wurde der Völkermord anerkannt. 2012 wurde in Berlin das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht.

    Auch heute noch werden Sinti und Roma in allen Lebensbereichen diskriminiert, wobei bisher nur wenige Studien Aufschluss über das Ausmaß der Diskriminierung geben. Eine repräsentative Untersuchung von Bevölkerungseinstellungen im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat gezeigt, dass keiner anderen Minderheit mit so großer Ablehnung begegnet wird wie
    Sinti und Roma. In einer anderen Studie gaben 81,2 Prozent der befragten deutschen Sinti und Roma an, persönliche Diskriminierung erfahren zu haben. 53,64 Prozent fühlten sich bei Behördenbesuchen „eingeschüchtert“, „schlecht behandelt“ oder „diskriminiert“. Überdurchschnittlich viele der Befragten besuchten eine Förderschule (10,7 Prozent, in der Mehrheitsbevölkerung nur 4,9 Prozent).

    Zudem berichten Roma-Organisationen der Antidiskriminierungsstelle von Diskriminierungen durch staatliche Stellen, Diskriminierungen bei der Wohnungssuche und in der Nachbarschaft, bei der Arbeitssuche und Arbeitsmarktintegration und in der Freizeit.

    Zwischen 2019 und 2021 tagte auf Einladung der Bundesregierung die Unabhängige Kommission Antiziganismus. Das Fachgremium stellte in seinem Abschlussbericht heraus, dass die Gesellschaft die Relevanz des Antiziganismus anerkennen müsse, um ihn überwinden zu können. Nötig sei eine umfassende Aufarbeitung des Völkermords und von erlittenem Unrecht auch nach 1945, sowie eine tiefgreifende Stärkung der Partizipation von Sinti und Roma, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

    https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/gefoerderte-projekte/unabhaengige-kommission-antiziganismus

  • Ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundeskriminalamtes zeigt, dass im Nachkriegsdeutschland Beamte ihre Schikanen gegenüber Sinti und Roma fortsetzten, die schon vor 1945 an mehreren NS-Verbrechen beteiligt und für die Verfolgung und Kriminalisierung von Sinti und Roma zuständig waren. Die Beamten veröffentlichten in Fachzeitschriften Texte voll mit Stereotypen, die sich gegen Sinti und Roma richteten. Diese wirkten sich auf die polizeiliche Datenerfassung, in statistischen Auswertungen, Meldungen und Fahndungen aus. Erst in den 1980er Jahren änderte sich hier auf Druck von Roma-Organisationen und Politik langsam etwas. Diskriminierende Praktiken treten aber auch noch in der Gegenwart auf, wie beispielsweise die Verdächtigung von Roma am Mord der Polizistin Michèle Kiesewetter („Heilbronner Phantom“) gezeigt hat.

    Mehr Informationen zum Forschungsprojekt „BKA-Historie“ finden Sie hier.

  • Mehr als 500.000 Roma wurden während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet. Von den deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden circa 25.000 ermordet. Schon kurz nach der Machtübernahme 1933 begann die Verfolgung, Entrechtung und Zwangssterilisierung von Sinti und Roma. Ab 1935 wurden Sinti und Roma in Zwangslagern am Rand von Städten wie Köln, Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf und Essen konzentriert. Kurz nach Kriegsbeginn begann die Deportation von Roma in Konzentrationslagern, wo sie Zwangsarbeit leisten. Am 16. Mai 1944 kam es zum Aufstand von Roma im Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau. Der Völkermord an den Roma wird heute als Porajmos (dt.: das Verschlingen) bezeichnet. Der Porajmos wurde nach der NS-Zeit weithin ignoriert. Erst 1982 wurde der Völkermord anerkannt. 2012 wurde in Berlin das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht.

    Mehr Informationen zum NS-Völkermord an den Sinti und Roma finden Sie hier.

  • Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes legt in ihrer Tätigkeit zur Diskriminierung von Sinti und Roma die Arbeitsdefinition „Antiziganismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zugrunde. Danach manifestiert sich Antiziganismus in individuellen Äußerungen und Handlungen sowie institutionellen Politiken und Praktiken der Marginalisierung, Ausgrenzung, physischen Gewalt, Herabwürdigung von Kulturen und Lebensweisen von Sinti und Roma sowie Hassreden, die gegen Sinti und Roma sowie andere Einzelpersonen oder Gruppen gerichtet sind, die zur Zeit des Nationalsozialismus und noch heute als „Zigeuner“ wahrgenommen, stigmatisiert oder verfolgt wurden bzw. werden. Dies führt dazu, dass Sinti und Roma als eine Gruppe vermeintlich Fremder behandelt werden, und ihnen eine Reihe negativer Stereotypen und verzerrter Darstellungen zugeordnet wird, die eine bestimmte Form des Rassismus darstellen. (...) Antiziganismus ist ein facettenreiches Phänomen, das auf breite gesellschaftliche und politische Akzeptanz stößt. Er behindert maßgeblich die Inklusion der Sinti und Roma in die Gesamtgesellschaft und verwehrt ihnen, gleichberechtigten Zugang zu Rechten, Chancen und Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben.

    Die vollständige Definition zum Antiziganismus der IHRA finden Sie hier.

  • Ja. Hier handelt es sich nicht um eine Eigenbezeichnung der Roma und Sinti, sondern um eine abwertende Fremdbezeichnung, mit der Sinti und Roma ausgegrenzt werden.

  • Der EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma soll dazu beitragen, die Alltagssituation der größten ethnischen Minderheit Europas zu verbessern. Er muss auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten in nationale Strategien umgesetzt werden, über deren Umsetzung regelmäßig Bericht erstattet werden muss. Im Jahr 2020 wurde ein neuer EU-Rahmen beschlossen, der für den Zeitraum bis 2030 gilt. Er benennt erstmals die Bekämpfung und Prävention von Antiziganismus und Diskriminierung als zentrales Aufgabenfeld. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, ihre auf diesem Rahmen basierenden nationalen Strategien bis September 2020 vorzulegen.

    Hier finden Sie die den Bericht der Bundesrepublik Deutschland zur Integration der Roma bis 2020 an die EU-Kommission.

    Einen Überblick über den neuen strategischen Rahmen für die Roma in der EU bis 2030 finden Sie hier.

  • Dieser Tag findet jährlich am 8. April statt. Er erinnert an den ersten Internationalen Roma-Kongress 1971 in London, der aus Vertreter_innen aus 25 Ländern bestand, welche eine Zugehörigkeit zur Geschichte, Kultur, Tradition und Sprache der Roma und Sinti auf der gesamten Welt ausmachten. Auf dem Kongress kam es zu der Gründung der Internationalen Roma-Union (IRU), einem Dachverband regionaler und nationaler Interessenvertretungen.

  • Einige Literaturtipps:


    Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA):
    Die Situation der Roma in elf EU-Mitgliedsstaaten.
    Umfrageergebnisse auf einen Blick, 2012


    Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alzard (Hg.):
    Wie Rassismus aus Wörtern spricht.
    (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache.
    Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011


    Iman Attia:
    Rassismus (nicht) beim Namen nennen,
    in: Aus Politik und Zeitgeschichte 13-14 (24.3.2014), S. 8-14


    Klaus-Michael Bogdal:
    Europa erfindet die Zigeuner.
    Eine Geschichte von Faszination und Verachtung, Berlin 2011


    Markus End:
    Bilder und Sinnstruktur des Antiziganismus,
    in: Aus Politik und Zeitgeschichte 22-23/2011 (30.5.2011), S. 15-21


    Markus End:
    Gutachten Antiziganismus.
    Zum Stand der Forschung und der Gegenstrategien, hg. v. Daniel Strauß, RomnoKher – Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung,
    Mannheim 2013


    Andrej Stephan:
    Umgang des BKA mit Minderheiten unter besonderer Berücksichtigung der Sinti und Roma,
    in: Der Nationalsozialismus und die Geschichte des BKA: Spurensuche in eigener Sache. Ergebnisse, Diskussionen, Reaktionen;
    Dokumentation des Kolloquiums zum Forschungsbericht zur BKA-Historie vom 6. April 2011, hg. v. Bundeskriminalamt, Köln 2011, S. 37-44


    Daniel Strauß (Hg.):
    Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma.
    Dokumentation und Forschungsbericht, Marburg 2012.