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Erster Gemeinsamer Bericht

Der Erste Gemeinsame Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages wurde im Jahr 2010 zum Thema "Mehrdimensionale Diskriminierung" vorgelegt.

Fragestellungen

Der Bericht bietet unter anderem Ansätze zur Beantwortung folgender Fragen:

  1. Was bedeutet es für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, wenn sie nicht nur aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Behinderung, sondern gerade wegen des Geschlechts und der Behinderung zusammen diskriminiert werden?
  2. Lassen sich bestimmte Kombinationen von Diskriminierungsgründen ermitteln, an die Diskriminierungen besonders häufig anknüpfen?
  3. Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen solche Benachteiligungen zu wehren?
  4. Und welche Herausforderungen stellen sich für die Beratungsarbeit und die Auseinandersetzung vor Gericht in solchen Fällen?

Der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und den in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages gemeinsam vorgelegte Bericht zeigt Bereiche auf, in denen die Mehrdimensionalität von Diskriminierung eine besondere Rolle spielt, und empfiehlt Maßnahmen und Vorgehensweisen, um dagegen vorzugehen. Dabei widmet er sich dem Thema aus unterschiedlichen (Arbeits-)Perspektiven und bietet im Annex die Möglichkeit, sich vertieft mit dem Thema im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen auseinanderzusetzen.

Grundlage für den Ersten Gemeinsamen Bericht sind die beiden Studien:

Ergebnisse

Einheitliches Konzept für "Mehrdimensionale Diskriminierung"

Es ist nicht ganz einfach, ein einheitliches Konzept für „Mehrdimensionale Diskriminierung“ zu entwickeln, da unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet werden. Das Konzept der „Mehrdimensionalen Diskriminierung“ berücksichtigt, dass jeder Mensch unweigerlich mehrere Eigenschaften besitzt, die im AGG als potentielle Diskriminierungsgründe benannt sind. Denn jeder Mensch hat ein Geschlecht, ein Alter, zumindest eine ethnische Herkunft, eine religiöse oder nichtreligiöse Überzeugung etc. Durch die Berücksichtigung der Mehrdimensionalität von Diskriminierungen können Lebenswirklichkeiten von Menschen exakter wahrgenommen werden.

In der Rechtspraxis

Trotz § 4 AGG, der explizit auf das Konzept der „Mehrdimensionalen Diskriminierung“ verweist, wird in der Rechtspraxis mehrdimensionale Diskriminierung nicht oder nur sehr unzureichend thematisiert. Dies liegt möglicherweise unter anderem daran, dass nach § 22 AGG Betroffene für jeden in Betracht kommenden Diskriminierungsgrund Indizien vortragen müssen. Der Nachweis von Mehrfachdiskriminierung stellt sich dadurch in der Praxis als schwieriger dar, als wenn nur Indizien für die Diskriminierung auf Grund eines Merkmals vorgetragen werden müssten.

In der Beratungspraxis

Mehrdimensionale Diskriminierung wird in der Beratungspraxis häufig verkannt. Dies liegt unter anderem daran, dass den Betroffenen oft selbst nicht bewusst ist, dass sie mehrfach diskriminiert wurden und oftmals Beratung nur zu einem Diskriminierungsmerkmal gesucht wird. Teilweise werden bestimmte Diskriminierungsgründe von den Betroffenen auch verschwiegen, weil sie eine bestimmte Merkmalszugehörigkeit als Stigma empfinden. Problematisch ist auch, dass die Mitarbeiter von Beratungsstellen selbst oft auf ein bestimmtes Merkmal spezialisiert sind und andere noch im Raum stehenden Diskriminierungsgründe nur unzureichend wahrnehmen.

Empfehlungen und Forderungen der Antidiskriminierungsstelle in Bezug auf die Verankerung von mehrdimensionaler Diskriminierung

Datenerhebung

Ausbau und Verbesserung von (sensibler) Datenerhebung, die auch Fälle mehrdimensionaler Diskriminierung umfasst. Die Initiierung und Durchführung konkreter Projekte zur Verbesserung der Datenerhebung und Sammlung von Fallzahlen gemeinsam mit Gerichten, die mit AGG-Fällen befasst sind. Einbezogen werden sollten auch Daten von Gewerkschaften, (z. B. Arbeitgeber-)Verbänden und dem Statistischen Bundesamt.

Öffentlichkeitsarbeit

Das Bewusstsein für mehrdimensionale Diskriminierung muss geschärft werden, um so eine gezielte Beratung und Rechtsdurchsetzung im konkreten Fall zu ermöglichen.

Forschung

Um valide Erkenntnisse zu erlangen, ist ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, der unter anderem sozialwissenschaftliche, juristische und bildungspolitische Fragestellungen miteinander verknüpft. Daneben ist ein methodisches Vorgehen vonnöten, das wissenschaftliches Wissen mit praktischem Wissen verbindet (verstärkte inter- und transdisziplinäre Forschung zum Thema „Mehrdimensionale Diskriminierung“).

Beratung

Wünschenswert ist die Durchführung von Schulungen des Personals von Beratungseinrichtungen bzw. beratenden Personen, sodass Hilfe bzgl. des Erkennens und des individuellen Umgangs mit einer von mehrdimensionaler Diskriminierung betroffenen Person gegeben werden kann.

Rechtsberatung und gerichtliche Praxis

Vor dem Hintergrund zahlenmäßig geringer gerichtlicher Prüfungen von mehrdimensional-diskriminierenden Aspekten sind verstärkte Fortbildungen und Schulungen von Richterinnen und Richtern sowie Anwältinnen und Anwälten zum Umgang mit mehrdimensionaler Diskriminierung wünschenswert.

Recht

Es sollte klarstellend geregelt werden, dass bei einer mehrdimensionalen Benachteiligung dieser Aspekt sowohl bei der Prüfung der Rechtfertigungsgründe als auch im Hinblick auf die Höhe der Entschädigung angemessen zu berücksichtigen ist.

Aus Gründen der Rechtssicherheit wird angeregt, in § 3 AGG eine gesetzliche Begriffsbestimmung (Legaldefinition) zu mehrdimensionaler Diskriminierung mit nicht abschließender Nennung der wesentlichen Untergruppen (insbesondere intersektionale, multiple und Mehrfachdiskriminierung) aufzunehmen.

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