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Vierter Gemeinsamer Bericht

Der Vierte Gemeinsame Bericht zum Thema "Diskriminierung in Deutschland – Erfahrungen, Risiken und Fallkonstellationen" wurde dem Deutschen Bundestag 2021 vorgelegt.

Grundlagen

Gesetzliche Grundlage für den Bericht ist § 27 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Demnach legen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung gemeinsam dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre Berichte über Benachteiligungen aus den in § 1 AGG genannten Gründen vor.

Der Vierte Gemeinsame Bericht gibt einen Überblick über Diskriminierungserfahrungen in der 19. Legislaturperiode. Grundlage sind vor allem Beratungsanfragen zu Diskriminierung und Eingaben, die bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und bei der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 eingegangen sind. Daneben werden Informationen zum Beratungsaufkommen bei staatlichen und zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsberatungsstellen bundesweit berücksichtigt und relevante Rechtsprechung sowie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführte Studien analysiert, allen voran zur Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung des Diskriminierungsschutzes im zivilrechtlichen Bereich. Darauf aufbauend formuliert der Bericht Empfehlungen für Politik, Gesetzgebung, Verwaltung, Arbeitgeber und die Zivilgesellschaft, die auf einen verbesserten Diskriminierungsschutz und eine effektive Prävention von Diskriminierung aus den in § 1 AGG genannten Gründen abzielen.

Diese Kurzfassung des Berichts gibt einen Überblick über die Zahl der Anfragen im Berichtszeitraum, wesentliche Ergebnisse zu den acht ausgewählten Lebensbereichen, die für Menschen im alltäglichen Leben zentral sind sowie entsprechende ausgewählte Handlungsansätze aus der Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Darüber hinaus werden die drei gemeinsamen Empfehlungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration präsentiert. Übergreifende Erkenntnisse zu aktuellen Entwicklungen im Berichtszeitraum, AGG-Merkmalen und nicht im AGG geschützten Diskriminierungsmerkmalen, Diskriminierungsformen, Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeiten von Antidiskriminierungsstellen sowie Forschungs- und Datenbedarfen sind in einem separaten Kapitel zusammengefasst (siehe Kapitel 2.10), auf das hier aber nicht näher eingegangen wird.

Überblick Beratungsanfragen

Im Berichtszeitraum gab es insgesamt 16.415 Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die sich auf ein AGG-Merkmal beziehen. Weitere 3.757 Anfragen betrafen andere Merkmale (sozialer Status, Gesundheit, Familienstand, Aufenthaltsstatus etc.). Die Zahl der Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist in den Jahren des Berichtszeitraums stark angestiegen. Besonders deutlich fiel der Zuwachs im Jahr 2020 aus (Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr).

Jeweils ein Drittel der Anfragen mit AGG-Merkmalsbezug bezog sich auf Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft / Rassismus (33 Prozent) bzw. Behinderung (32 Prozent). 24 Prozent der Beratungsanfragen hatten Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zum Anlass, 12 Prozent aufgrund des Alters, 7 Prozent aufgrund der Religion/Weltanschauung sowie 4 Prozent aufgrund der sexuellen Identität.

Häufigkeit der in den Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes genannten AGG-Merkmale

Basis: 16.415 Beratungsanfragen mit AGG-Merkmalsbezug an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020 (Angaben in Prozent)

Basis: 16.415 Beratungsanfragen mit AGG-Merkmalsbezug an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020 (Angaben in Prozent)

Die meisten Anfragen (31 Prozent) beziehen sich auf das Arbeitsleben, 24 Prozent auf Benachteiligungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sowie 11 Prozent auf Diskriminierungen bei Ämtern und Behörden.

Verteilung der Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Lebensbereiche 

Basis: 16.415 Beratungsanfragen mit AGG-Merkmalsbezug an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020

Basis: 16.415 Beratungsanfragen mit AGG-Merkmalsbezug an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020

6.413 Anfragen (Beschwerde, Hilfe- und Auskunftsersuchen) wurden an den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen adressiert.

Der Bürgerservice der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration nahm im Berichtszeitraum 12.929 Eingaben an.

Insgesamt verzeichnen alle drei Einrichtungen tendenziell einen Anstieg bei den Anfragen.

Das Fallaufkommen bei anderen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsberatungsstellen wurde überblicksartig mittels einer Online-Umfrage erfasst, an der sich 76 Stellen beteiligt haben. Auch hier verzeichnen viele Stellen eine Zunahme der eingehenden Anfragen, wobei der Anstieg je nach Stelle unterschiedlich ausfällt (ausführlich zu den Beratungsanfragen siehe Kapitel 2.1).

Erkenntnisse zu einzelnen Lebensbereichen und Handlungsansätze aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Arbeitsleben

Am häufigsten geht es um vermutete Benachteiligung im Rahmen bestehender Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere aufgrund des Geschlechts (Benachteiligung bei Schwangerschaft und Elternzeit, Gehaltsunterschiede, Diskriminierung von trans* oder inter* Personen). Aber auch Fälle sexueller Belästigung sind vergleichsweise häufig Gegenstand der Beratungsanfragen. Weitere Themen sind unter anderem Mobbing oder die Ablehnung von schwerbehinderten Menschen beim Bewerbungsgespräch sowie die Diskriminierung älterer Arbeitssuchender (siehe Kapitel 2.2).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.2.5):

  • Insbesondere im Arbeitsleben ist die Entscheidung für Betroffene, sich gegen Diskriminierung zu wehren, häufig mit existenziellen Sorgen verbunden. Daher werden Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes benötigt. Dazu gehört ein Verbandsklagerecht für qualifizierte Antidiskriminierungsverbände, um Musterprozesse führen zu können.
  • Auch die von der Bundesregierung bereits in Aussicht gestellte (bisher aber nicht umgesetzte) Verlängerung der Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen im AGG von zwei auf sechs Monaten, würde zu einer Verbesserung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes führen.
  • Wenn Arbeitgeber Ihren Pflichten (z. B. zur Einrichtung einer Beschwerdestelle) nicht nachkommen, wären gesetzliche Sanktionierungsmöglichkeiten sowie Ermittlungsbefugnisse für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sinnvoll. In diesem Kontext wäre auch die Einrichtung übergeordneter Beschwerdestellen für kleine und mittlere Betriebe (z. B. branchenspezifisch bei Handwerkskammern) hilfreich.

Private Dienstleistungen / Zugang zu Gütern

Die meisten Anfragen im Berichtszeitraum betrafen Diskriminierungserfahrungen im Einzelhandel im Zusammenhang mit der Maskenpflicht. Dies ist auf Anfragen im Kontext der Coronapandemie im Jahr 2020 zurückzuführen und stellt eine Ausnahmeerscheinung dar. Davon abgesehen standen im Mittelpunkt vieler Anfragen fehlende Barrierefreiheit, Diskriminierung älterer Menschen beim Abschluss von Versicherungen, Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft bei Eröffnung eines Bankkontos und rassistische Diskriminierung bzw. Diskriminierung aufgrund der Religion beim Zugang zu Clubs, Fitnessstudios oder bei der Personenbeförderung. Auch verweisen die Anfragen auf die Nichtbeachtung der Bedarfe von trans* und inter* Personen, beispielsweise beim Online-Einkauf (siehe Kapitel 2.3).

Um aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es jenseits der individuellen Klage gibt, um sich gegen Diskriminierung bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse zu wehren, wird in einem Exkurs, basierend auf der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebenen Studie "Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung des Diskriminierungsschutzes bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse. Bestandsaufnahme, Alternativen und Weiterentwicklung" genauer auf die Rechtsdurchsetzung des entsprechenden Diskriminierungsschutzes eingegangen. Dabei wird insbesondere auch die Rolle von Schlichtungs- und Ombudsstellen thematisiert (siehe Kapitel 2.3.2).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.3.6):

  • Um fehlender Barrierefreiheit und fehlenden angemessenen Vorkehrungen im Bereich des Zugangs zu privaten Dienstleistungen und Gütern entgegenzutreten, sollte im AGG eine Verpflichtung von privaten Anbieter*innen von Dienstleistungen zu Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen verankert werden.
  • Um Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte aus dem AGG effektiv zu unterstützten, sollte eine für Diskriminierungsfragen spezialisierte behördliche AGG-Ombudsstelle bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Umsetzung von Schlichtungsverfahren eingerichtet werden.
  • Die Bundesländer sollten bußgeldbewährte Diskriminierungsverbote im Landesrecht, wie beispielweise den Gaststättengesetzen verankern, die alle im AGG geschützten Merkmale umfassen und den diskriminierungsfreien Zugang zu Clubs, Gaststätten und anderen Veranstaltungsorten umfassen.

Wohnungsmarkt

Rassistische Diskriminierung spielt im Bereich des Wohnungsmarkts die größte Rolle – 55 Prozent aller Beratungsanfragen in diesem Bereich beziehen sich darauf. Dabei stehen bundesweit zunehmend rassistische Belästigungen und Mobbing durch Nachbar*innen im Zentrum der Beratungsarbeit. Im vergangenen Berichtszeitraum ging es noch deutlich häufiger um Diskriminierungsrisiken bei der Wohnungssuche (siehe Kapitel 2.4.4).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.4.4):

  • Die Unterscheidung zwischen Massengeschäft und Nicht-Massengeschäft ist für die Betroffenen schwer nachvollziehbar. Deshalb sollte die Grenze von 50 Wohnungen in der Ausnahmeregelung in § 19 Abs. 5 Satz 3 AGG kritisch überprüft werden. Die Ausnahmeregelungen in § 19 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 3 AGG bergen überdies eine Missbrauchsgefahr und können Rechtfertigungen für rassistische Diskriminierung bieten.
  • Sensible und persönliche Informationen der Wohnungssuchenden können Einfallstore für Benachteiligungen darstellen. Um hier Diskriminierungen vorzubeugen, sollten einheitliche und transparente Auswahlverfahren der Mietinteressent*innen entwickelt, erprobt und implementiert werden.
  • Bei der Wohnraumsuche knüpfen Diskriminierungserfahrungen überproportional häufig an den sozialen Status oder den Familienstatus an. Deshalb sollte die Ausweitung der in § 1 AGG genannten Schutzgründe um diese Merkmalsgründe geprüft werden.

Gesundheit und Pflege

In diesem Bereich baten überdurchschnittlich viele Menschen mit Behinderungen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, den Behindertenbeauftragten und andere Beratungsstellen um Unterstützung. Hier sind alle Problemstellungen betroffen: die Erstaufnahme sowie der Zugang zur Versorgungsleistung, die Diagnoseerstellung, sowohl im Behandlungsverlauf als auch bei der Nachsorge und Rehabilitation. Zum einen fehlt es an baulicher Barrierefreiheit. Zum anderen bergen aber auch Sprachbarrieren Diskriminierungsrisiken, z. B. bei Terminvergaben und Behandlungen (siehe Kapitel 2.5).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.5.4):

  • Um Patient*innen wirksam vor Diskriminierung im Bereich Gesundheit und Pflege zu schützen, bedarf es einer gesetzlichen Klarstellung, dass der medizinische Behandlungsvertrag gemäß § 630a BGB in den Anwendungsbereich des § 19 Absatz 1 AGG fällt.
  • Um für Patient*innen bei Streitigkeiten über Ansprüche nach dem AGG im Zusammenhang mit einem Behandlungsvertrag eine ergänzende Anlaufstelle zu schaffen, ist die Einrichtung von Gütestellen bei Landesärztekammern notwendig.
  • Um Benachteiligungen durch fehlende barrierefreie Zugänge zu ärztlichen und zahnärztlichen Praxen zu vermeiden und sanktionieren zu können, bedarf es eines einklagbaren Anspruchs auf Barrierefreiheit, der in Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention seine Grundlage findet.

Ämter und Behörden

In diesem Bereich werden häufig Gesetze bzw. deren Anwendung als diskriminierend beanstandet – beispielsweise die fehlende Kostenübernahme für reproduktionsmedizinische Leistungen für lesbische Ehepaare durch die GKV. Diskriminierung kann aber auch von Mitarbeitenden der Ämter und Behörden ausgehen, z. B. wenn ein Jobcenter eine Umschulung aufgrund des Alters verweigert oder trans* Personen nicht entsprechend ihrer Geschlechtsidentität angesprochen werden. Zahlreiche Anfragen gab es außerdem bezüglich fehlender Anerkennung und Diskriminierung der Personenstände „divers“ und „kein Eintrag“ in Verwaltungsvorschriften, Anträgen und Formularen (siehe Kapitel 2.6).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.6.5):

  • Diskriminierung in Ämtern und Behörden (aber auch in den Bereichen Polizei und Justiz sowie Bildung) spielt in der Beratungstätigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und anderer Antidiskriminierungsstellen eine große Rolle. Der Anwendungsbereich des AGG sollte daher auf den staatlichen Bereich ausgeweitet werden.
  • Um Lücken im Diskriminierungsschutz im Bereich des staatlichen Handelns zu schließen, wird zudem die Verabschiedung von Antidiskriminierungsgesetzen in weiteren Bundesländern empfohlen.
  • Um das veraltete und zum Teil verfassungswidrige Transsexuellengesetz zu ersetzen, spricht sich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung aus. Zudem sollten die Anforderungen an trans- und intergeschlechtliche Menschen an die Änderung des Geschlechtseintrags vereinheitlicht und erleichtert werden.

Justiz und Polizei

Bei mehr als jeder zweiten Beratungsanfrage mit Bezug zu Polizei und Ordnungsbehörden, fühlten sich Menschen rassistisch diskriminiert. Racial Profiling spielt hier weiter eine große Rolle. Ein weiteres Thema waren Anfragen im Bereich des Familienrechts, in denen sich einerseits Väter, aber auch Menschen mit Behinderungen oder Einwanderungs- und Fluchtgeschichte in Bezug auf den Umgang mit ihren Kindern benachteiligt sahen. Für Menschen mit Behinderungen ist außerdem die kommunikative Barrierefreiheit in Gerichten oft nicht gegeben (siehe Kapitel 2.7).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.7.5):

  • Um einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen, sollten bei Polizeidienststellen Kontaktpersonen benannt werden, an die sich Betroffene von rassistisch motivierten Straftaten wenden können. Auch die Einrichtung von Staatsanwaltschaften für rassistisch motivierte Straftaten sollte bundesweit geprüft werden.
  • Die Schaffung einer bundesweiten unabhängigen Beschwerdestelle, an die sich Betroffene von Diskriminierung durch die Polizei und Racial Profiling durch Beamt*innen der Bundespolizei wenden können sowie die Einrichtung von unabhängigen Landespolizeibeauftragten in allen Ländern wäre sinnvoll, um eine neutrale Bearbeitung von Beschwerden zu gewährleisten.
  • Bedienstete im Bereich Justiz und Polizei sollten für die Themen Diskriminierungsschutz, Antidiskriminierungsrecht und zu unterschiedlichen Formen von Diskriminierung sensibilisiert werden. Entsprechende Themen sollten verpflichtend in die Aus-, Weiter- und Fortbildung aufgenommen werden, um einen professionellen Umgang mit Betroffenen gewährleisten zu können.

Bildung

Während aus Kita und Schule vor allem rassistische Diskriminierungen und Diskriminierung aufgrund einer Behinderung berichtet werden, sind im Bereich der Hochschule vermehrt auch Benachteiligungen anhand des Geschlechts und des Alters der Studierenden zu verzeichnen. Auch der soziale Status spielt zunehmend eine Rolle. Häufig kommt es zu verbalen Formen der Diskriminierung, wie Beleidigungen, Mobbing und Abwertung, aber auch zu Diskriminierung beim Zugang zu Kita, Schule und Hochschule und bei der Beurteilung von Leistungen. Positiv ist zu vermerken, dass im Bildungsbereich das Bewusstsein und die Sensibilität für Diskriminierungen gestärkt wurde und es zunehmend Beratungsangebote gibt (siehe Kapitel 2.8).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.8.5):

  • Es sollten mehr spezifische Beratungsstellen, die zu Diskriminierung im Bildungsbereich beraten können, geschaffen werden, um betroffene Schüler*innen, Studierende und Eltern in Fällen von Diskriminierung zu unterstützen.
  • Um eine schnelle Bearbeitung von Diskriminierung zu ermöglichen, sollten zudem niedrigschwellige Anlaufstellen und Beschwerdeverfahren für Kinder, Schüler*innen und Studierende innerhalb der entsprechenden Institutionen geschaffen werden.
  • Es sollte klargestellt werden, dass das AGG für alle privatrechtlichen Betreuungsverträge in Kitas gemäß § 19 I Nr. 1 AGG Anwendung findet, damit Eltern gegen Diskriminierung beim Zugang zu Kitas vorgehen können. Darüber hinaus sollten in den einschlägigen Bundes- und Ländergesetzen (Kita-, Schul- und Hochschulgesetze sowie AGG und SGB VIII) Lücken im Diskriminierungsschutz geschlossen werden, um bei den Betroffenen und den Akteur*innen Rechtssicherheit und Rechtsschutz zu erreichen.

Öffentlichkeit und Freizeit, Medien und Internet

Diese Lebensbereiche nehmen im Fallaufkommen eine eher untergeordnete Rolle ein. Im öffentlichen Raum kommen Anfragen aufgrund der ethnischen Herkunft, der Religion/Weltanschauung und der sexuellen Identität überdurchschnittlich häufig vor. Zuletzt hat die Meldung solcher Vorfälle zugenommen, insbesondere auch zu anti-asiatischem Rassismus. Im Freizeitbereich geht es häufiger um Ausschluss von bestimmten Personengruppen aus Vereinen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten, unter anderem aufgrund des Alters. Insbesondere der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen erhielt Beschwerden über die mangelnde Barrierefreiheit von Medienbeiträgen (siehe Kapitel 2.9).

Ausgewählte Handlungsansätze (siehe Kapitel 2.9.5):

  • Um die Rahmenbedingungen zur Ausübung von ehrenamtlichem oder bürgerschaftlichem Engagement für ältere Menschen zu verbessern, sollten Höchstaltersgrenzen in diesen Bereichen überwunden werden.
  • Um Hate Speech niedrigschwellig melden und effektiv bearbeiten zu können, sollten alle Bundesländer erwägen, Meldestellen gegen Hate Speech einzurichten.
  • Die Coronakrise hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, Nachrichten und Informationen für alle Menschen barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, um das barrierefreie Medienangebot deutlich zu erhöhen.

Gemeinsame Empfehlungen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sprechen die folgenden gemeinsamen Empfehlungen aus (siehe Kapitel 3):

1. Beratungsstrukturen stärken und Landesantidiskriminierungsstellen einrichten


Die deutlich gestiegene Zahl der Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als auch bei den anderen Antidiskriminierungsberatungsstellen zeigt, dass ein wachsender Bedarf an qualifizierter Antidiskriminierungsberatung in Deutschland besteht. Niedrigschwellig zugängige und regional verankerte Anlaufstellen bieten Betroffenen die notwendige vertrauliche und parteiliche Unterstützung bei ihrer Rechtsdurchsetzung, knüpfen ein verlässliches Netz an Verweisberatungsstrukturen und stoßen übergeordnete Entwicklungen in Kommunen und Bundesländern an.

Der flächendeckende Ausbau staatlicher und nichtstaatlicher Antidiskriminierungsstellen auf Landes- sowie kommunaler Ebene wird deshalb empfohlen. Der Ausbau der Antidiskriminierungsberatung für Betroffene erfordert eine langfristige institutionelle Finanzierung durch Bund, Länder und Kommunen sowie eine dauerhafte gesetzliche Verankerung. Ländern ohne Landesantidiskriminierungsstellen wird empfohlen, entsprechende Stellen einzurichten. Staatliche und nichtstaatliche Antidiskriminierungsstellen müssen als integraler Bestandteil der Demokratieförderung und wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus anerkannt werden.

2. Diskriminierung durch Datenerhebung besser sichtbar machen


Große repräsentative Wiederholungsbefragungen bilden eine unverzichtbare Grundlage für die sozialwissenschaftliche Dauerbeobachtung der Gesellschaft. Die derzeitige Datenlage reicht für eine Diskriminierungsberichterstattung, die dem Schutzanspruch des AGG entspricht, aber nicht aus. Zudem zeigt sich, dass die Forschung zu Diskriminierung in Institutionen (z. B. in Behörden) in Deutschland ausbaufähig ist.

Daher empfehlen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die Beauftragten zum einen die Einschaltung eines Fragenmoduls zu Diskriminierungserfahrungen in einer bevölkerungsrepräsentativen Wiederholungsbefragung, wie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), in regelmäßigen Abständen. An den Bundesgesetzgeber richtet sich die Empfehlung zu prüfen, inwiefern perspektivisch auch im Mikrozensus nach allen AGG-Merkmalen gefragt werden kann, um z. B. Angaben zur Repräsentation von Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Teilbereichen machen zu können. Zum anderen wird dem Bund empfohlen, ein Gleichstellungsmonitoring in der Bundesverwaltung auf Grundlage von zentralen Beschäftigtenbefragungen zu schaffen.

3. Alternative Streitbeilegungsverfahren ausbauen


Betroffene nehmen oftmals von einer individuellen Rechtsdurchsetzung in der Form von Klagen Abstand. Gründe hierfür sind zum einen ein begrenztes Wissen zum Antidiskriminierungsrecht, verhältnismäßig hohe Hürden der Beweislast, kurze Fristen sowie eine lange Verfahrensdauer und die begrenzte Anzahl von sachkundigen Anwält*innen im Antidiskriminierungsrecht. Zum anderen stellen aber auch unwägbare Kosten sowie sehr geringe Entschädigungssummen eine entsprechende Hemmschwelle dar. Alternative Streitbeilegungsverfahren können jedoch gegenüber der gerichtlichen Klärung von Diskriminierungsvorwürfen für Betroffene erhebliche Vorteile mit sich bringen, da sie weniger belastend und kostengünstiger sind. In der Praxis entfaltet sich das Potenzial von Schlichtungsverfahren aber kaum, weil die vielfältigen Mechanismen der fragmentierten Schlichtungslandschaft nicht ausreichend für Diskriminierungsfälle sensibilisiert und Beratungsstellen sowie Betroffenen kaum bekannt sind.

Die Antidiskriminierungsstelle und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung empfehlen daher zu prüfen, ob in Abschnitt 3 des AGG eine einseitige Pflicht für Antragsgegner*innen zur Teilnahme an Schlichtungsverfahren in Streitigkeiten um Ansprüche aus dem AGG sowie eine Informationspflicht für Anbieter*innen von Waren und Dienstleistungen bezüglich des Diskriminierungsschutzes im Allgemeinen und der Beschwerde- und Schlichtungsverfahren in Diskriminierungsfällen im Spezifischen ergänzt werden können.

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