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„Zu alt für Ratenzahlung“

Zu alt für Ratenzahlung

Der Fall

Die 62-jährige Ärztin M. will eine Eigentumswohnung kaufen und dafür einen sogenannten „Volltilgungskredit“ abschließen, den sie nach zehn Jahren vollständig abbezahlt hätte. Die Bank verweigert ihr diesen Kredit mit der Begründung, dass sie nur noch wenige Jahre vom Renteneintrittsalter entfernt sei und die Bank nach dem Überschreiten der Rentenaltersgrenze generell davon ausgeht, dass die hohen Raten des Volltilgungskredits nicht mehr bezahlt werden könnten. Daher vergebe sie an Personen, die während der Vertragslaufzeit das Rentenalter erreichen, nie Volltilgungskredite. Diese standardisierte Vorgabe der Geschäftsführung könne der Kreditberater auch nicht individuell ändern. Persönliche Umstände von Frau M. werden daraufhin nicht mehr geprüft.

Die niedergelassene Ärztin plant aber gar nicht, in Rente zu gehen. Vielmehr beabsichtigt sie, bis mindestens zum 72. Lebensjahr weiterzuarbeiten. Die Raten des Volltilgungskredits könnte sie mit ihrem Einkommen ohne Probleme abbezahlen. Die Bank bietet Frau M. stattdessen einen sogenannten Rentner*innenkredit an, bei dem sie kleinere Raten bis zum 80. Lebensjahr zahlen müsste und danach noch eine Restschuld verbleiben würde, für die sie erneut einen Kredit hätte aufnehmen müsste.

Mit der Bitte um Beratung wendet sich Frau M. daraufhin an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Rechtliche Einordnung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Benachteiligungen wegen des Alters. Das Diskriminierungsmerkmal ist hier eindeutig betroffen, da die schlechten Bedingungen für den Kredit mit dem Lebensalter der Frau M. zusammenhängen. Der Schutz des AGG erstreckt sich dabei grundsätzlich auch auf den Abschluss von bestimmten Verträgen – jedenfalls wenn ein sogenanntes Massengeschäft oder ein damit vergleichbares Geschäft vorliegt (§ 19 Absatz 1 AGG). Ob Bank – und Kreditverträge Geschäfte in diesem Sinne sind, ist bisher gerichtlich nicht abschließend geklärt. In der Gesetzesbegründung zum AGG heißt es, dass Kreditgeschäfte meist auf einer individuellen Risikoprüfung beruhen würden und daher regelmäßig keine Massengeschäfte seien (BT-Drs.16/1780, S.42).

Demgegenüber sprach sich das Amtsgericht München gegen eine pauschale Verneinung von Krediten als Massengeschäft aus. Dies widerspreche dem Zweck des AGG. Es könne nicht statthaft sein, einer solventen Person den Kredit wegen völlig davon unabhängigen Eigenschaften (z.B. der geschützten AGG Merkmale), zu verweigern. Gerade wenn die Anbieterseite das Produkt – den Kredit – gegenüber einem ihr nicht bekannten und eingrenzbaren Personenkreis bewirbt, spreche das für ein Massengeschäft oder ein vergleichbares Geschäft (AG München, Urteil vom 13.04.2016, Az. 171 C/ 28560/15).

Auch in der juristischen Literatur finden sich Stimmen, die einer solch pauschalen Einordnung widersprechen. Beispielsweise sei ein Konsument*innenkredit, der von Banken nach standardisiertem Verfahren ohne weiteres vergeben wird, nicht vergleichbar mit einem Kredit für ein komplexes Großprojekt. Denn ein solcher Konsument*innenkredit wird eben gerade nicht auf die Person einzelne*r Kund*innen zugeschnitten. Insbesondere wenn ein Kredit ausreichend gesichert ist, sei nicht ersichtlich, warum es zusätzlich auf die individuellen Eigenschaften der Person ankommen soll (Thüsing in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, § 19 AGG, Rn. 24; Franke/Schlichtmann in Däubler/Beck, HK zum AGG, 5. Aufl. 2021, § 19 Rn. 37).

Zwar handelt es sich im Fall von Frau M. nicht um einen Konsument*innenkredit. Allerdings wurde gerade nicht das individuelle Zahlungsausfallrisiko geprüft. Die Bank traf die Entscheidung nach einem standardisierten Verfahren, das keine individuellen Abweichungen erlaubt. Beides spricht aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle für das Vorliegen eines Massengeschäfts oder damit vergleichbaren Geschäfts. Auch bei Annahme eines Massengeschäfts oder eines damit vergleichbaren Geschäfts wäre allerdings weiter zu prüfen, ob die Bank sich in dem vorliegenden Fall nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen könnte (§20 Abs. 1 AGG). Kreditinstitute dürfen auch bei Massengeschäften das legitime Ziel verfolgen, ein Ausfallrisiko abzusichern.

Auch ohne ausdrückliche Nennung in § 20 Abs. 1 AGG muss nach überwiegender Ansicht bei der Rechtfertigung die Verhältnismäßigkeit geprüft werden (Thüsing in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, § 20 AGG, Rn. 10; Armbrüster in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 20 AGG Rn. 4). Dabei erscheint es fraglich, ob eine Altersgrenze überhaupt geeignet ist, das Zahlungsausfallrisiko zu minimieren. Denn das Lebensalter sagt nicht zwangsläufig etwas über die Zahlungsfähigkeit der betroffenen Person aus. Auch bei Frau M. wurden weder ihre persönliche Situation noch ihre Bonität berücksichtigt. Bei ihrem Gehalt wäre es ihr ohne weiteres möglich gewesen, die monatlichen Tilgungsraten innerhalb von fünf bis sieben Jahren abzubezahlen. Auch war es von Frau M. geplant, über das gesetzlich vorgesehene Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten – was in ihrem Beruf durchaus üblich ist. Da nach den Vorgaben der Bank der Vertrag jedoch allein aufgrund des Alters abgelehnt wurde, berücksichtigte die Bank die konkrete Einkommenssituation bzw. Finanzkraft der Frau M. überhaupt nicht.

Ergebnis / Beilegung

In diesem Fall war es aus juristischer Sicht möglich, eine Benachteiligung im Sinne des AGG anzunehmen und einen Rechtfertigungsgrund abzulehnen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wies Frau M. daraufhin, dass im Fall einer Benachteiligung aufgrund des Alters Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Entschädigung geltend gemacht werden könnten. Nach § 21 Abs. 1 AGG kann zudem die Beseitigung der Benachteiligung verlangt werde. Ob daraus ein Anspruch auf den Abschluss des Vertrages abgeleitet werden kann, ist allerdings umstritten. Die Ansprüche müssen gem. § 21 Abs. 5 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten gegenüber dem Vertragspartner geltend gemacht werden.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bot Frau M. zu ihrer Unterstützung zudem an, sich um eine gütliche Einigung mit der Bank zu bemühen. Dazu kann die Antidiskriminierungsstelle den Vertragspartner im Einverständnis mit der betroffenen Person um eine Stellungnahme bitten. Dazu kam es im konkreten Fall nicht mehr. Frau M. wandte sich an eine andere Bank – und bekam den gewünschten Kredit.

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