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Extrawurst für Assistenzhunde?

Extrawurst für Assistenzhunde?

Der Fall

Eigentlich wollte Frau A. nur kurz fürs Abendessen einkaufen – doch als sie den Supermarkt um die Ecke betritt, wird sie von einem Mitarbeiter aufgehalten - „Hunde verboten!“ Frau A. hat ihren Assistenzhund dabei, der ihr bei Panikattacken aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungsstörung hilft, sie in Stresssituationen beruhigt und sie an ruhige Orte führen kann. Damit ihr Hund als Assistenzhund erkannt wird, hat Frau A. ihn mit einem blauen Geschirr mit der Aufschrift „Assistenzhund“ gekennzeichnet; das erklärt sie auch dem Mitarbeiter des Supermarktes. Dieser besteht jedoch weiterhin darauf, dass der Hund draußen warten müsse - und verweist auf Vorschriften zur Hygiene in Lebensmittelbetrieben. Frau A. fühlt sich durch dieses Verhalten wegen ihrer Behinderung diskriminiert – und will auch in Zukunft den Supermarkt um die Ecke nutzen können. Sie wendet sich daher mit der Bitte um Beratung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Einordnung/Einschätzung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt in bestimmten Situationen vor Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft oder rassistischer Zuschreibung, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Dies gilt auch im privatrechtlichen Bereich, und zwar unter anderem dann, wenn in einer Vielzahl von Fällen ähnliche Verträge geschlossen werden, ohne dass es auf die Person des Vertragspartners ankommt (§ 19 Absatz 1 AGG).
Das Verhalten des Supermarktmitarbeiters gegenüber Frau A. muss sich also an den Regelungen des AGG messen lassen. Es mag zunächst als neutrales Handeln erscheinen – immerhin gilt in dem Supermarkt ein generelles Hundeverbot, das nicht direkt auf Frau A. oder ihre Behinderung abzielt. Allerdings beeinträchtigt dieses Verbot Menschen mit Behinderungen, die auf ihren Assistenzhund angewiesen sind, besonders stark: Für sie macht es den Besuch des Supermarkts riskant oder sogar unmöglich, während es für andere Menschen zumutbar ist, ihren Hund vor der Tür zu lassen. Das Verbot stellt daher einen Fall der zumindest mittelbaren Benachteiligung dar (§ 3 Absatz 2 AGG).
Benachteiligungen können gerechtfertigt sein, wenn für die unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund vorliegt und die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist (§ 20 Absatz 1 AGG, für die mittelbare Diskriminierung § 3 Absatz 2 AGG). Der Mitarbeiter des Supermarkts beruft sich hier auf Vorschriften zur Hygiene. Das Einhalten dieser Vorschriften stellt einen sachlichen Grund dar, zumal es dem Gesundheitsschutz dient. So müssen Lebensmittelgeschäfte vermeiden, dass Haustiere Zugang zu Räumen haben, in denen Lebensmittel gelagert werden (Artikel 4 Absatz 2 in Verbindung mit Anhang II Kapitel IX Nummer 4 der Europäischen Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene). Dieser Vorschrift zufolge sind aber Ausnahmen möglich, sog. „Sonderfälle“, in denen die zuständige Behörde den Zugang von Tieren erlaubt. Dann müssen lediglich Vorkehrungen getroffen werden, um eine Kontamination von Lebensmitteln zu vermeiden. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft greift diese Ausnahmevorschrift im Fall von Assistenzhunden (siehe Stellungnahme hier). Die reine Anwesenheit eines Assistenzhundes führt nämlich nicht zu hygienischen Gefahren, sofern dieser nicht mit Lebensmitteln in Berührung kommt und diese verunreinigt. Dies ist aufgrund der besonderen Schulung von Assistenzhunden in aller Regel nicht zu erwarten.
Zudem gilt in Deutschland die UN- Behindertenrechtskonvention, die eine Pflicht zur besonderen Berücksichtigung der Interessen von Menschen mit Behinderung begründet. In Anbetracht dessen erscheint es unverhältnismäßig, die Mitnahme von Assistenzhunden in Lebensmittelgeschäften zu verbieten.
Der Verweis auf Hygienevorschriften kann die Benachteiligung von Frau A. somit nicht rechtfertigen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden auch in Supermärkten und Lebensmittelgeschäften ist – unbeachtet genereller Verbote zur Mitnahme von Hunden – zu gestatten. Indem der Supermarktmitarbeiter Frau A. den Zutritt zum Supermarkt verwehrt hat, hat er nach Ansicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gegen das AGG verstoßen.

Ergebnis

Eine Vielzahl solcher und ähnlicher Vorfälle, die an die Antidiskriminierungsstelle herangetragen werden, zeigt, dass es immer wieder zu Missverständnissen in Bezug auf das Mitführen von Assistenzhunden kommt. Aus Sorge, im Rahmen von Lebensmittelkontrollen Probleme zu bekommen, wird seitens Geschäftstreibender oft prophylaktisch ein generelles Hundeverbot ausgesprochen. Hier bedarf es einer gesetzlichen Klarstellung, dass das Verbot zum Mitführen von Assistenzhunden in Supermärkten und Lebensmittelgeschäften eine unzulässige Benachteiligung darstellt, aus der Betroffene, wie Frau A., Ansprüche auf Beseitigung der Beeinträchtigung sowie auf Unterlassung von ähnlichen Benachteiligungen in der Zukunft ableiten und zudem Schadensersatz und Entschädigungsansprüche geltend machen können. Frau A musste darauf jedoch nicht warten. Nachdem das Beratungsteam der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Stellungnahme beim Supermarkt einholte und auf eine gütliche Einigung hinwirkte, zeigte sich der Geschäftsführer einsichtig: Frau A. darf nun mit ihrem Assistenzhund im Supermarkt einkaufen.

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