Navigation und Service

„Lebensretterin? Nur ohne Kopftuch!“

Der Fall

Frau P. arbeitet als Notfallsanitäterin bei einem privat geführten Rettungsdienstunternehmen. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes entscheidet sie sich aus religiösen Gründen dazu, ein Kopftuch zu tragen. Ihr Arbeitgeber teilt ihr mit, dass der Einsatz im Rettungswagen nur ohne Kopftuch möglich sei. Hierzu wird sie auf eine interne Regelung verwiesen, wonach Beschäftigte verpflichtet seien, sich neutral zu verhalten und auf alle Äußerungen zu ihrer Weltanschauung, Religion oder politischen Einstellung zu verzichten. Außerdem werden Gründe der Hygiene und der Sicherheit genannt, da sie beispielsweise an Gegenständen hängenbleiben könne. Sollte Frau P. an ihrem Wunsch festhalten, ein Kopftuch zu tragen, müsse man über eine Kündigung nachdenken. Frau P. wendet sich daraufhin an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit der Bitte um Beratung.

Rechtliche Einordnung

Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, stoßen in Bewerbungsverfahren, aber auch in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen immer wieder auf Vorurteile und Hürden. Bei Betroffenen kann der Eindruck entstehen, bestimmte Tätigkeiten blieben ihnen in jedem Fall verwehrt. Grundsätzlich können auch private Arbeitgeber*innen von allen ihren Angestellten gleichermaßen ein neutrales Auftreten fordern. Dann darf es aber keine Ausnahmen geben, sondern das Verbot muss vollumfänglich gelten. Die konkreten Anforderungen hieran lassen sich aus den einschlägigen Gesetzen sowie der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) herleiten.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt sowohl Beschäftigte im Rahmen eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses, als auch Bewerber*innen, die sich um eine neue Arbeitsstelle bemühen. Gemäß § 1 AGG sind Benachteiligungen unter anderem aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts und der Religion unzulässig. Sofern einer Arbeitnehmerin oder einer Bewerberin mitgeteilt wird, dass sie nur dann beschäftigt werden kann, wenn sie das Kopftuch ablegt, kann darin eine unzulässige Benachteiligung nach den Vorschriften des AGG liegen. 

Grundsätzlich ist es unzulässig, religiöse Symbole am Arbeitsplatz zu verbieten. Jedoch kann eine solche Benachteiligung im Einzelfall gerechtfertigt sein. An eine Rechtfertigung sind laut den Vorschriften des AGG sowie der Rechtsprechung des EuGH hohe Anforderungen zu stellen. Dabei sind insbesondere die Religionsfreiheit der Beschäftigten sowie die unternehmerische Freiheit gegeneinander abzuwägen. Unternehmen haben das Recht, nach außen hin neutral aufzutreten, sodass sie von den Beschäftigten auch ein neutrales Auftreten fordern können. Die Untersagung des Tragens religiöser, politischer oder weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz, worunter auch das Kopftuch fällt, kommt daher insbesondere für Beschäftigte in Betracht, die im Kontakt zu Dritten, zum Beispiel zu Kund*innen, stehen. Diesen Maßstab hat der EuGH bereits im Jahre 2017 aufgestellt (Urteil vom 14. März 2017, Aktenzeichen C-157/15).

Zu beachten ist, dass keine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, sofern allen Beschäftigten gleichermaßen das Tragen von politischen, weltanschaulichen oder religiösen Zeichen am Arbeitsplatz verboten wird. Aber: Ein scheinbar neutrales Verbot kann eine mittelbare Diskriminierung nach den Vorschriften des AGG darstellen, wenn faktisch nur Personen mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Letzteres betrifft in der Praxis häufig Frauen, die ein Kopftuch tragen.

In einer aktuellen Entscheidung des EuGH werden die Anforderungen an ein Verbot religiöser Symbole durch private Arbeitgeber*innen weiter konkretisiert (Urteil vom 15.07.2021, Aktenzeichen C-804/18 und C-341/19). Demnach kann eine mittelbare Benachteiligung nur dann gerechtfertigt werden, wenn Arbeitgeber*innen ein nachweisliches Bedürfnis nach einer Neutralitätspolitik haben. Abzuwägen sind hier die Religionsfreiheit mit der unternehmerischen Freiheit. Eine Beschränkung der Religionsfreiheit, die mit dem Verbot einhergeht, sichtbare Zeichen der eigenen religiösen Überzeugung zu tragen, kann nur dann zulässig sein, wenn dies unbedingt erforderlich ist, um ein vom Arbeitgeber verfolgtes rechtmäßiges Ziel zu erreichen. Der bloße Wunsch, neutral aufzutreten, reicht dabei nicht aus. Vielmehr müssen die Unternehmen nachweisen, dass sie ohne Umsetzung der Neutralitätspolitik nachteilige Konsequenzen zu tragen hätten, wie beispielsweise Ertragseinbußen oder soziale Konflikte innerhalb des Unternehmens. Außerdem muss ein Verbot, politische, weltanschauliche oder religiöse Zeichen sichtbar am Arbeitsplatz zu tragen, einheitlich für alle Beschäftigten gelten.

Im Falle von Frau P. dürfte der pauschale Hinweis auf die Neutralitätspolitik des Unternehmens daher wohl nicht genügen. Es müsste vielmehr konkret aufgezeigt werden, inwiefern die Beschäftigung einer Notfallsanitäterin mit Kopftuch im Einsatzwagen zu nachteiligen Konsequenzen für den Rettungsdienst führen würde. Insbesondere hat das Unternehmen nicht nachgewiesen, dass Patient*innen sich von einer Notfallsanitäterin mit Kopftuch nicht versorgen lassen würden, oder dass soziale Konflikte innerhalb des Unternehmens zu befürchten seien. Der Hinweis, das Kopftuch sei nicht hygienisch oder stelle ein Sicherheitsrisiko dar, dürfte im Ergebnis ebenfalls nicht tragen. § 3 Abs. 2 AGG sieht vor, dass eine Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein kann, soweit der Zweck rechtmäßig und die Mittel angemessen sind. Zwar können die Aspekte der Hygiene sowie der Sicherheit durchaus rechtmäßige Zwecke darstellen. Jedoch dürfte das Kopftuch nicht in stärkerem Maße zur Übertragung von Gesundheitsgefahren führen, als es beim Haar oder einer anderen Kopfbedeckung, beispielsweise einer Mütze oder einem Helm, der Fall ist. Zudem können etwaige Sicherheitsrisiken durch die Wahl des Stoffes sowie der Art des Tragens des Kopftuchs jedenfalls minimiert werden, sodass die Interessen der Ratsuchenden vorliegend überwiegen dürften.

Schließlich wäre eine Kündigung in diesem Fall wegen eines Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot gemäß § 134 BGB unwirksam. Betroffene Arbeitnehmer*innen müssen in jedem Falle beachten, dass eine Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht zu erheben ist. Wird die Frist versäumt, gilt die Kündigung als wirksam, selbst wenn sie zu Unrecht erfolgt ist. Andernfalls gilt die ursprünglich unwirksame Kündigung gemäß § 7 Kündigungsschutzgesetz als von Anfang an rechtswirksam.

Ergebnis / Beilegung

In dem Fall wurde Frau P. darauf hingewiesen, dass sie eine Beschwerde nach § 13 AGG bei der Beschwerdestelle des Unternehmens einreichen kann. Die Beschwerde muss geprüft und der Betroffenen muss das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt werden.

Weiterhin wurde sie auf mögliche Ansprüche auf Schadensersatz- und/oder Entschädigung gemäß § 15 Absatz 1, 2 AGG hingewiesen. Die genannten Ansprüche müssen innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Kenntnis der Benachteiligung gegenüber dem Unternehmen geltend gemacht werden. Grundsätzlich hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Möglichkeit, in Diskriminierungskonflikten zu vermitteln, um eine gütliche Einigung zu erzielen.

Gerade in Fällen, in denen eine Klage Aussicht auf Erfolg haben kann, kann es aber auch sinnvoll sein, den Rechtsweg zu beschreiten. Vorliegend hat sich Frau P. daher entschieden, sich zunächst zu den Möglichkeiten einer Klage anwaltlich beraten zu lassen.

Weitere Fälle zum Thema Diskriminierung wegen der Religion:

Hier gelangen Sie zurück zur Übersicht:

Weitere Themen