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4. Religiöse Symbole im staatlichen Bereich: Wann ist ein Verbot zulässig?

Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen hat der Staat nicht die Freiheit, sondern die Pflicht, neutral aufzutreten. Das Neutralitätsgebot ist im Grundgesetz festgeschrieben und steht hier dem Recht auf Religionsfreiheit gegenüber. In Deutschland muss also im Einzelfall geklärt werden, in welchen staatlichen Bereichen ein Verbot religiöser Symbole zulässig bzw. geboten ist.

Zwar müssen sich alle Beamt*innen grundsätzlich religiös, politisch und weltanschaulich neutral verhalten, ein generelles Verbot religiöser Symbole für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes kann aus dem Neutralitätsgebot jedoch nicht abgeleitet werden. Wenn Beschäftigten des öffentlichen Dienstes das Tragen religiöser Symbole im Dienst verboten werden soll, müssen  zum Schutz der grundgesetzlichen Religionsfreiheit auf Bundesebene und in den einzelnen Bundesländern konkrete Gesetze erlassen werden, die ein Verbot religiöser Symbole im öffentlichen Dienst begründen.

Auch der EuGH hat den Mitgliedstaaten und Bundesländern einen Wertungsspielraum bezüglich der Neutralität von staatlichen Stellen zugestanden, um deren Ansatz von Vielfalt im Inneren des öffentlichen Dienstes Rechnung zu tragen. Ein Verwaltungsumfeld der völligen Neutralität kann somit ebenso zulässig sein, wie eine Einschränkung, die nur bei Publikumsverkehr greift oder eine generelle allgemeine Erlaubnis von religiösen und weltanschaulichen Zeichen (EuGH Urteil vom 28.11.2023, Aktenzeichen: C-148/22 bezüglich eines Falles aus Belgien).

Zudem muss eine Arbeitssituation vorliegen, in der die Wahrung staatlicher Neutralität stärker als die Religionsfreiheit zu gewichten ist. In diesem Zusammenhang steht die Frage im Vordergrund, ob durch sichtbare religiöse Symbole das Vertrauen der Bürger*innen in den Staat beschädigt werden könnte. Bei sehr wichtigen bzw. hoheitlichen Aufgaben des Staates, z. B. bei der Polizei oder in der Justiz, ist der Neutralitätsanspruch deshalb besonders hoch.

In einem Fall in Hessen hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel die Beschwerde einer muslimischen Referendarin abgelehnt, nachdem ihr das Tragen eines Kopftuchs in bestimmten Tätigkeiten des Referendariats untersagt wurde (Beschluss vom 23. Mai 2017, Aktenzeichen: 1 B 1056/17). Die Untersagung sei gerechtfertigt, wenn sie richterliche oder staatsanwaltschaftliche Aufgaben übernehme und dabei als Repräsentantin der Justiz wahrgenommen werde. Das Gericht entschied hier, dass die Religionsfreiheit der Referendarin hinter der Neutralität des Staates zurücktreten müsse, insbesondere weil die zugrundeliegende Regelung im Hessischen Beamtengesetzbuch eine ausreichende gesetzliche Grundlage sei. Darüber hinaus bewertete das Gericht die Auswirkungen auf die Ausbildung der Referendarin als zumutbar, weil sich das Verbot nur auf einen kleinen Teil der Ausbildung beziehe. Eine gegen die Entscheidung des Gerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde der Referendarin hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen und das Neutralitätsgebot des Staates betont (Beschluss vom 14. Januar 2020, Aktenzeichen: 2 BvR 1333/17).

In einem ähnlichen Fall hingegen gab das Verwaltungsgericht Augsburg einer Rechtsreferendarin recht, die geklagt hatte, weil sie ebenfalls bestimmte Tätigkeiten während ihres Referendariats nicht wahrnehmen durfte (Urteil vom 20. Juni 2016, Aktenzeichen: 2 Au K 15.457). Hier fehlte allerdings nach Ansicht des Gerichts in Bayern bereits die erforderliche gesetzliche Grundlage, weshalb das Verbot als unzulässig eingestuft wurde. Das Urteil wurde jedoch mittlerweile aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben; (BayVGH vom 07.03.2018, Aktenzeichen: 3 BV 16.2040). Das BVerwG bestätigte am 12.11.2020 (Aktenzeichen: 2 C 5/19) das erstinstanzliche Urteil und rügte die damals fehlende Gesetzesgrundlage.

In der Zwischenzeit hat der Bayerische Landtag ein neues Richter- und Staatsanwaltschaftsgesetz erlassen, das religiöse oder weltanschaulich geprägte Kleidung im Gerichtssaal verbietet. Dieses Gesetz wurde im Zuge einer Popularklage vom Bayrischen Verfassungsgerichtshof mit der Begründung bestätigt, dass die Wahrung der Neutralität der Justiz und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Gerichte verfassungsrechtlich legitime Ziele verfolge (Urteil vom 14.03.2019 Vf. 3-VII-18).