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Evaluation des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

- Steckbrief zur Untersuchung -

Autor*innen: Dr. Sabine Berghahn, Vera Egenberger, Micha Klapp, Alexander Klose, Doris Liebscher, Dr. Linda Supik und Alexander Tischbirek, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2016

Kurzüberblick

In der vorliegenden Untersuchung wird eine Evaluation des 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorgenommen. Betrachtet wird sowohl die Rechtswissenschaftlichkeit als auch die praktische Wirksamkeit des Gesetzes.
Da es sich hierbei um ein Gesetz handelt, das vier europäische Richtlinien vereinen soll, findet zunächst eine Analyse der Vorgaben aus Völker-, Europa- und Verfassungsrecht statt. Des Weiteren werden Rechtsprechung und Literatur durch Fokusgruppengespräche, Expert*innen-Interviews und schriftliche Befragungen untersucht.
Die Evaluation endet mit Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber und die Rechtsdurchsetzung.

Wichtigste Ergebnisse

Allgemeiner Teil des AGG / Begrifflichkeiten

Die Autor*innen empfehlen, im gesamten Gesetz den Begriff „Benachteiligung“ durch „Diskriminierung“ zu ersetzen. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH muss Schutz nun auch für diejenigen gelten, die assoziierte Diskriminierung erfahren. Ebenso sollten demnach auch Diskriminierungen ohne identifizierbare Opfer erfasst werden. Weiterhin wird empfohlen, im Gesetzestext den Begriff „Rasse“ durch „rassistisch“ zu ersetzten, wodurch sich von der Idee, es gäbe verschiedene menschliche „Rassen“, distanziert werden soll. Außerdem sollte der Begriff „Alter“ durch „Lebensalter“ ersetzt werden; dies um zu verdeutlichen, dass Diskriminierungen von jungen Menschen gleichfalls gemeint sind.

Es sollte deutlicher werden, dass sich der Begriff „Geschlecht“ im AGG auch auf Inter* und Trans* Menschen bezieht. Zusätzlich sollte der Begriff „Behinderung“ entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechend weiter gefasst werden, so dass Diskriminierungen durch Fehlen sogenannter angemessener Vorkehrungen inkludiert sind.

Sexualisierte Belästigung

Ebenso wird empfohlen, das Gesetz in Bezug auf den Schutz vor sexualisierter Belästigung über den Arbeitsplatz, hinaus auf weitere Lebensbereiche zu erweitern. Hierbei sollte das sogenannte „feindliche Umfeld“ nicht mehr zwingend vorausgesetzt werden.

Positive Maßnahmen

Die vom AGG bisher nur erlaubten positiven Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung werden laut der Untersuchung bisher nur selten angewendet, daher sollte in Zukunft ein verbindlicher Rahmen in Form von bspw. Betriebsvereinbarungen geschaffen werden.

Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz

Im arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz besteht Bedarf zur Änderung des Anwendungsbereichs des AGG; zum einen hinsichtlich der Erweiterung der Pflicht zur diskriminierungsfreien Ausschreibung und zum anderen hinsichtlich der rechtlichen Klarstellung darüber, dass auch Kündigungen vom AGG erfasst werden. Ebenso ist durch den zunehmenden Einsatz von Fremdpersonal eine Erweiterung des Diskriminierungsschutzes notwendig. Im Hinblick auf die steigende Bedeutung betrieblicher Altersvorsorge wird außerdem empfohlen, das Verhältnis von Betriebsrentengesetz und AGG zu präzisieren.

Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen

Ebenso wird angeraten, den Spielraum für die Rechtfertigungen von Ungleichbehandlungen einzuschränken. Im Fokus sollte aus Sicht der Autor*innen der fehlende Diskriminierungsschutz für Menschen, die im Rentenalter weiterarbeiten wollen oder müssen, stehen.

Kirchenklausel

Bei der im AGG verankerten „Kirchenklausel“ handelt es sich um die Erlaubnis von Religionsgemeinschaften, Beschäftigte wegen ihrer Religionszugehörigkeit und wegen Verletzung von religiösen Verhaltenspflichten zu diskriminieren. Die Autor*innen der Evaluation sprechen sich für eine differenziertere Lösung aus: Anforderungen dieser Art könnten zwar im Verkündungsbereich gerechtfertigt sein, es würden allerdings für Ärzt*innen, Krankenschwestern und Erzieher*innen, die Beschäftigte von Caritas oder Diakonie sind, die allgemeinen Regelungen weiterhin gelten.

Dreieckskonstellationen im Arbeits – und Zivilrecht

Im Zuge einer Dreieckskonstellation zwischen Arbeitgeber*innen und Dritten empfehlen die Autor*innen eine klarere Formulierung der Pflichten von Arbeitgeber*innen, um ihre Beschäftigten zu schützen. Bei Verletzung dieser Pflichten sollten Arbeitnehmer*innen einen Anspruch auf Entschädigung nach AGG haben. Dies ist übertragbar auf das Wohn- und Mietrecht.

Erweiterung des Schutzes vor Diskriminierungen wegen der Weltanschauung auf das Zivilrecht

Der im AGG verankerte Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung wird von der Evaluation dahingehend als nicht ausreichend bezeichnet, als dass er sich allein auf das Arbeitsrecht beschränkt. Es wird eine Erweiterung auf das Zivilrecht empfohlen, da der Diskriminierungsschutz hier besonders auf dem Wohnungsmarkt Lücken aufweist. Ebenso sollten strengere Rechtfertigungen bei Diskriminierungen durch privatrechtliche Versicherungen, die an das Lebensalter geknüpft sind, durch den Gesetzgeber gefordert werden.

Verlängerung von Fristen / Stärkung von Beschwerderechten

Aufgrund der Tatsache, dass Betroffene von Diskriminierungen die Eigenverantwortung tragen, diese zu melden, ist die Rechtsdurchsetzung von zentraler Bedeutung für die Wirksamkeit des AGG. Die Autor*innen der Evaluation empfehlen daher die im AGG enthaltenen Rechte der Beschäftigten auf Beschwerde und Leistungsverweigerung und Schutz vor Viktimisierung zu stärken. Ebenso sollte die im AGG formulierte Beschwerdefrist auf 6 Monate verlängert werden.

Beschränkung des Entschädigungsanspruchs aufheben

Damit mittels der im AGG geregelten Sanktionen eine Verhaltensänderung – am besten präventiv – herbeigeführt werden kann, empfiehlt es sich, die bestehenden Beschränkungen des Anspruchs auf Entschädigung aufzuheben und stattdessen Richtgrößen für dessen Bemessung vorzuschlagen.

Beweislasterleichterung erweitern / Verbandsklagerecht

Zentrales Problem bei der gerichtlichen Durchsetzung des Antidiskriminierungsrechts bleibt die Beweisfrage. Die Beweislasterleichterung des AGG sollte daher maßvoll erweitert und im Arbeitsrecht durch einen Auskunftsanspruch ergänzt werden. Angesichts der zahlreichen Barrieren auf dem Weg zu individuellem Rechtsschutz sollte seitens der Gesetzgebung zudem kollektiver Rechtsschutz im Wege eines Verbandsklagerechts für entsprechend qualifizierte Antidiskriminierungsverbände etabliert und die Rechte von Betriebsräten und Gewerkschaften gestärkt werden.

Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Die Befugnisse der ADS sollten über das Recht zu Beratung im Einzelfall hinaus erweitert und gestärkt werden. Dies umfasst laut den Autor*innen der Untersuchung die Unterstützung bei Klagen durch Stellungnahmen, ein umfassendes Auskunfts,- Beanstandungs- und Beteiligungsrecht sowie ein Klagerecht in grundlegenden Fällen. Im Zuge dessen empfiehlt die Evaluation auch den Ausbau von Personal und Ressourcen der ADS.

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