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Benachteiligungen im zivilen Rechtsverkehr

nach den Regelungen des AGG von Menschen mit Behinderung, für die nach § 1896 BGB eine Betreuerin/ ein Betreuer bestellt ist

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Susette Jörk, Anne Kobes, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2011

Kurzüberblick

Die Expertise untersucht, ob und wann Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen, für die ein*e Betreuer*in nach § 1896 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestellt wurde, im zivilen Rechtsverkehr vorliegt. Sie gibt zunächst einen Einblick in das Konzept, den rechtlichen Rahmen sowie die Auswirkungen der Betreuung. Außerdem wird geprüft, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen eine Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliegt.

Wichtigste Ergebnisse

Das Betreuungsrecht nach § 1896 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Im Jahr 1992 wurde mit dem Betreuungsgesetz ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Fortan konnte die Geschäftsfähigkeit von Menschen mit eingeschränkter Willensbestimmungs- und Willensbetätigungsfreiheit nicht mehr konstitutiv festgestellt werden.

Eine rechtliche Betreuung nach § 1896 BGB wird angeordnet, wenn eine volljährige Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung die eigenen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Bestellung einer*s Betreuer*in darf nur für Aufgabenkreise erfolgen, in denen die Betreuung erforderlich ist. Lassen sich die Angelegenheiten der betroffenen Person durch Bevollmächtigte oder andere Hilfen ausreichend besorgen, dann ist die Betreuung nicht erforderlich und wird nicht angeordnet.

Die*der Betreuer*in vertritt die betreute Person innerhalb des zugewiesenen Aufgabenkreises gerichtlich und außergerichtlich als gesetzliche*r Vertreter*in. Die betreute Person bleibt grundsätzlich selbst voll handlungsfähig. Sie kann auch ohne Zustimmung der*des Betreuer*in rechtlich wirksame Handlungen vornehmen.

Benachteiligungen im Alltag

Die im Rahmen der Expertise durchgeführten Expert*inneninterviews zeigen, dass die rechtliche Situation im Alltag immer wieder verkannt wird. Die Autorinnen zeigen an mehreren Beispielen, dass in der Praxis zum Teil die Betreuung irrtümlich mit dem Verlust der Geschäfts- und Einsichtsfähigkeit gleichgesetzt wird. Betreute Personen erfahren regelmäßig Benachteiligungen, so zum Beispiel beim Abschluss von Mietverträgen oder bei Bankgeschäften. Auch werden betreuten Personen medizinische Behandlungen durch Ärzt*innen verweigert, wenn die*der Betreuer*in nicht anwesend ist.

Diese Benachteiligungen sind vermutlich häufig Folge von Unwissenheit und Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Auswirkungen von Betreuung. Dies führt zu einer Bevormundung bzw. Entmündigung und verletzt das Selbstbestimmungsrecht und das Persönlichkeitsrecht der betreuten Person.

Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Die rechtliche Betreuung selbst ist kein im AGG genanntes Diskriminierungsmerkmal. Bezugspunkt des AGG ist vielmehr das Vorliegen einer Behinderung. Von Ausnahmen abgesehen liegt bei Benachteiligungen, die an die Betreuung anknüpfen, stets eine mittelbare Diskriminierung vor. Erfolgt eine nachteilige Behandlung wegen der Betreuung, so ist diese nur dann zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Da die betreuten Personen regelmäßig keine Kenntnis von möglichen Rechtfertigungsgründen haben, ist die Durchsetzung von Rechten nach dem AGG erschwert.

Begriffserläuterung

Mittelbare Benachteiligungen sind Benachteiligungen, bei denen eine formale Gleichbehandlung zu einer Zurücksetzung führt. Eine mittelbare Benachteiligung ist in stärkerem Maße zulässig als eine unmittelbare. Letztere sind nur dann zulässig, wenn einer der im AGG aufgeführten Rechtfertigungsgründe vorliegt.

Handlungsoptionen

Die Autorinnen der Expertise empfehlen

  • eine umfassende Aufklärung und Sensibilisierung,
  • die Aufnahme des Themas in die Curricula relevanter Studiengänge und Berufsausbildungen,
  • eine verbesserte Aufklärung der Betroffenen,
  • die Beseitigung von Hürden bei der Rechtsdurchsetzung durch eine Erleichterung der Beweislast und durch ein Auskunftsanspruchsrecht der betroffenen Person.Die Autorinnen der Expertise empfehlen

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