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Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bereich

Eine sozial- und erziehungswissenschaftliche Bestandsaufnahme

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Prof. Dr. Seven Jennessen, Prof. Dr. Nicole Kastirke, Prof. Dr. Jochem Kotthaus, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2013

Kurzüberblick

Die Expertise gibt einen Überblick über den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand zur Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bildungsbereich in Deutschland. Erscheinungsformen, Ursachen und der Umgang mit Diskriminierung im Bildungsbereich werden unter Berücksichtigung aller in § 1 AGG genannten Dimensionen als auch der „sozialen Herkunft“ in den Blick genommen.

Wichtigste Ergebnisse

Ausgangspunkte

  • Diskriminierung im und durch das Bildungssystem ist ein tatsächliches und nachweisbares Phänomen. Maßgebliches Diskriminierungsmerkmal ist die „soziale Herkunft“, die Diskriminierung kann aber auch an unterschiedliche AGG-Merkmale geknüpft sein.
  • Bildung geschieht nicht nur in Institutionen wie der Schule, sondern auch an lebensweltlichen und familiären Bildungsorten. Diese können den Erfolg oder das Scheitern in der Schule beeinflussen.
  • Bildungsübergänge – z.B. von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule oder von der Grundschule zur Sekundarstufe – sind für die weitere Bildungsbiografie entscheidend. Die bestehende Selektionspraxis führt zur Chancenungleichheit.

Frühkindlicher / vorschulischer Bereich

  • Kinder mit „niedriger sozialer Herkunft“, mit Migrationshintergrund und mit Behinderung – vor allem bei den Unter-Dreijährigen – sind in Kindertageseinrichtungen unterrepräsentiert. Damit können ungünstige Ausgangsbedingungen (ungleiche familiäre und individuelle Startbedingungen) nicht ausreichend kompensiert werden.
  • Insbesondere die frühkindliche Bildung in Sonderinstitutionen für Kinder mit Behinderung kann dazu führen, dass diese Kinder in ihren Entwicklungschancen benachteiligt werden. Gleiches gilt für den durch sozialräumliche Segregation bedingten Besuch von migrantischen Kindern von Kindertageseinrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern, die Deutsch als Zweitsprache haben und/oder ein eher niedriges familiäres Sozialkapital aufweisen.
  • Die Sozialstruktur des Personals in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung ist ungünstig: Indem hier vor allem weibliches Personal arbeitet, können genderspezifische Perspektiven der frühkindlichen Bildung nur eingeschränkt verwirklicht werden.
  • Unmittelbare, interaktionale Diskriminierung kann – wenn auch als unbewusster Prozess – schon in Kindertageseinrichtungen zu Konsequenzen führen.

Grundschule

  • Stereotypisierungen und Zuschreibungen, vor allem in Anknüpfung an die soziale oder ethnische Herkunft bzw. die Sprache, beeinflussen die Entscheidung über schulische Zurückstellungen und die Zuweisung zu Förderschulen, die Feststellung des Förderbedarfs, aber auch die Notengebung und wirken sich negativ auf den Übergang zu weiterführenden Schulen aus.
  • Das Exklusionsrisiko von Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf ist stark vom jeweiligen Bundesland abhängig. Der Elternwille spielt eine zentrale Rolle beim Zugang zu Regelschulen.
  • Eine rigide betriebene und nicht immer valide Selektionspraxis in der Grundschule führt zu starker Chancenungleichheit. Fehleinschätzungen und Fehlplatzierungen beruhen auf der – zu bezweifelnden – Annahme, Schüler*innengruppen homogenisieren zu müssen und frühzeitig für bestimmte Bildungsverläufe zu selektieren.

Sekundarstufe I und II

  • In der Sekundarstufe I (und II) verdichten sich Benachteiligung und Diskriminierung im Bildungsverlauf. Die besuchte Schulform, welche stark abhängig von der „sozialen Herkunft“ ist, wird entscheidend für den schulischen Erfolg.
  • Armutsrisiko sowie Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft und Bildungsbenachteiligung können sich gegenseitig bedingen.
  • Der Gebrauch einer nicht-deutschen Muttersprache in der Schule kann ein Diskriminierungsrisiko darstellen und als mangelnder Integrationswille interpretiert werden.
  • Geschlechtsspezifische Zuschreibungen und Erwartungen in der Schule können sich sowohl negativ für Schülerinnen (z.B. in Bezug auf Fächerwahl und einen späteren Berufswunsch) als auch für Schüler (z.B. Schulerfolg) auswirken und so zu Benachteiligungen führen.

Handlungsoptionen

  1. Bildung sollte in ihrem Gehalt neu be- und überdacht werden und nicht nur auf die (ökonomische) Verwertbarkeit der Schüler*innen ausgerichtet sein. Es bedarf einer grundsätzlichen Diskussion über Funktion und Bedeutung von Schule.
  2. Die Herstellung und Verfestigung von Diskriminierung und Bildungsungerechtigkeit im Bildungssystem sollte systematisch offengelegt werden.
  3. Sowohl alltägliche, interaktionale Formen der Diskriminierung als auch institutionelle Diskriminierung im Bildungsbereich sollten stärker in den Blick genommen werden.

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