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Möglichkeiten effektiver Strafverfolgung bei Hasskriminalität

- Steckbrief zum Rechtsgutachten -

Autor*innen: Prof. Dr. Dieter Kugelmann, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2015

Kurzüberblick

Die Aufklärung der Mordserie des sogenannten „nationalsozialistischen Untergrundes“ im Bundestag brachte zutage, dass es in Deutschland mangelnde Sensibilität bei den Strafverfolgungsbehörden für vorurteilsgeleitete Motive bei Straftätern gibt. Die in diesem Zusammenhang festgestellten Handlungsbedarfe waren der Ausgangspunkt für das Rechtsgutachten „Möglichkeiten effektiver Strafverfolgung bei Hasskriminalität“, das Professor Dieter Kugelmann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstellt hat.

Diese rechtliche Expertise bietet einen Überblick über die Möglichkeiten, innerhalb des deutschen Rechtssystems Hasskriminalität zu verfolgen. Sie zeigt gute Beispiele sowie Konzepte auf, um die Effektivität der Verfolgung vorurteilsgeleiteter Straftaten sowie die Prävention zu erhöhen. Hierzu wird zunächst der Begriff der Hasskriminalität erklärt. Die rechtlichen Grundlagen zur Verfolgung von Hasskriminalität in Deutschland werden sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene dargelegt. Darauf aufbauend werden Unterschiede zur Verfolgung von Hasskriminalität in anderen europäischen Ländern aufgezeigt. Das Gutachten schließt mit Empfehlungen zur Verbesserung der Verfolgung von Hasskriminalität in Deutschland auf gesetzgeberischer und institutioneller Ebene.

Wichtigste Ergebnisse

Begriffliches

  • Hasskriminalität umfasst Straftaten, die gegen eine Person oder eine Sache allein oder vorwiegend wegen gruppenbedingter Merkmale dieser Person oder des Inhabers der Sache gerichtet sind, insbesondere wegen der politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, aus rassistischen Gründen, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, des äußeren Erscheinungsbildes oder des gesellschaftlichen Status.
  • Hasskriminalität ist sowohl von der Motivation de*r*s Täter*in als auch von der Opferperspektive geprägt. Im Strafrecht ist ausschlaggebend, dass der Tat eine über die persönliche Schädigung des Opfers hinausweisende Motivation zu Grunde liegt, die an bestimmte Merkmale des Opfers anknüpft. Es wird davon ausgegangen, dass die Auswahl des Opfers, das bestimmte Merkmale aufweist, eine Wirkung in der Gesellschaft erzielen soll.

Der Schutz vor Hasskriminalität im Grundgesetz

Die Verfolgung von Hasskriminalität kann aus den im Grundgesetz verankerten staatlichen Schutzpflichten abgeleitet werden. Hierzu gehören vor allen Dingen der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Vorgehen gegen Diskriminierung (Art. 3 Abs. 3 GG).

Rechtliche Vorkehrungen gegen Hasskriminalität auf Bundes- und Länderebene

Das Strafrecht bietet ausreichende Grundlagen, Hasskriminalität zu verfolgen. Mitberücksichtigt ist dabei die Gesetzesinitiative zur Einführung des heutigen § 46 Abs. 2 StGB, wonach bei der Strafzumessung ausdrücklich „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele zu beachten sind“. Weitergehender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht nicht. Das Strafrecht und das Strafprozessrecht bieten ausreichende Instrumentarien zur Verfolgung von Hasskriminalität. Allerdings sind die Länder für die Organisation und Verwaltung der Polizeibehörden zuständig. In diesem Rahmen müssen sie Regeln für die effektive Umsetzung der strafrechtlichen Bundesgesetze durch ihre Behörden schaffen.

Handlungspotenziale in der bestehenden Verwaltungspraxis

Wesentliche Erfolgsfaktoren zur Bekämpfung von Hasskriminalität liegen somit auf der Anwendungsebene und in der Verwaltungspraxis, die auf die Umsetzung und Durchführung der gesetzlichen Vorgaben gerichtet ist. Die Verfolgung von Hasskriminalität kann durch ihre stärkere Beobachtung und höhere Gewichtung in der Anwendung von Strafgesetzgebung und Strafprozessordnung verbessert werden. Für diese Anwendungsebene ist zunächst die polizeiinterne Einordnung einer Straftat als Hasskriminalität relevant. Allerdings erscheint eine klare und einheitliche Einordnung einer Straftat als Hasskriminalität innerhalb des zurzeit bestehenden „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes über politisch motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK) noch nicht ausreichend gewährleistet. Weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung spezieller polizeilicher Ansprechpartner*innen für homophobe Gewalttaten, unterscheiden sich aufgrund des föderalen Systems bundesweit stark und sind demnach nicht einheitlich gewährleistet.

Handlungsoptionen

  1. Erlass von Verwaltungsvorschriften

    mit der nachdrücklichen Empfehlung an die Staatsanwaltschaften, dass im Fall des Vorliegens von Hasskriminalität das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nach dem materiellen Strafrecht, z.B. gem. § 230 StGB, wie auch das einer Einstellung des Verfahrens entgegenstehende öffentliche Interesse nach § 153 StPO in aller Regel zu bejahen ist.

  2. Schaffung von Mechanismen

    zu gezielter Datenerhebung und einer vereinfachten Koordinierung der einschlägigen Daten zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft.

  3. Einrichtung einer „Kontaktperson Hasskriminalität“

    bei den Staatsschutzdienststellen der Polizei sowie Erweiterung deren Zuständigkeiten auf Hasskriminalität über politisch motivierte Kriminalität hinaus.

  4. Erweiterung der Verwaltungsvorschriften des KPMD-PMK

    um die eigenständige Kategorie Hasskriminalität, insbesondere zur Sensibilisierung der erstmeldenden Polizeibediensteten.

  5. Verstärkte Einbeziehung des Themas Hasskriminalität

    in die Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz.

  6. Verstärkte Kooperation der Behörden

    mit der Zivilgesellschaft zur Vertrauensbildung unter Ausdifferenzierung der Ansprechpartner*innen und deren Kooperation in einem Netzwerk, wobei die Kommunikationsstränge der kriminalpräventiven Räte genutzt werden können.

  7. Ergänzung des Nationalen Aktionsplans der Bundesrepublik Deutschland

    zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus um die spezifische Thematik der Hasskriminalität.

  8. Schaffung einer Pflicht

    zur Erstellung eines jährlichen nationalen Berichts über die Hasskriminalität in der Bundesrepublik.

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