Beschwerdestellen
bei Diskriminierung
Grundlagen, Handlungsansätze und Praxisbeispiele für eine gute Umsetzung von betrieblichen Beschwerdestellen nach § 13 AGG
- Steckbrief zur Studie -
Autor*innen:
Andreas Foitzik, Daniel Bartel, Annette Martucci, Lena Noumi -
unter Mitarbeit von: Dr. Valeska Korff, Lydia Kirchner, Julia Kaiser, Carla Dethleffsen und Norina Pommerening, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)
Erscheinungsjahr:
2025
Kurzüberblick
Die Anzahl an internen Beschwerdestellen gemäß § 13 AGG ist in den letzten Jahren gewachsen. Immer mehr Arbeitgeber kommen der Verpflichtung nach, eine betriebliche Beschwerdestelle einzurichten. Sie setzen sie jedoch auf ganz unterschiedliche Arten um, da der Gesetzgeber hier keine Vorgaben macht.
Hieran setzt die Praxisstudie an. Es werden grundlegende Begriffe, Konzepte und Grundprinzipien im Themenfeld Beschwerdestellen definiert und ein Modell für die Ansiedlung der Beschwerdestelle, das Ablaufverfahren des Beschwerdeprozesses, die Kooperationen und Abgrenzungen innerhalb der innerbetrieblichen Beschwerdearchitektur ausgelotet sowie spezifische Ansätze für KMU oder externe Beschwerdestellen erläutert. Darüber hinaus wird anhand von 18 aktuellen Good-Practice-Bespielen beschrieben und bewertet, wie verschiedenste Arbeitgeber einzelne Umsetzungsaspekte in ihrer Beschwerdestelle gut gelöst haben.
Was ist eine Beschwerdestelle?
Durch Beschwerdestellen soll der Diskriminierungsschutz der Mitarbeitenden gewährleistet werden. Ihr Fokus liegt auf der Bearbeitung konkreter Diskriminierungsfälle.
Die Beschwerdestelle
- übernimmt für den Arbeitgeber die Aufgabe, Beschwerden entgegenzunehmen.
- prüft die Beschwerde umfassend und objektiv.
- teilt das Ergebnis der beschwerdeführenden Person mit.
- empfiehlt dem Arbeitgeber Maßnahmen als Reaktion auf die Diskriminierung und zur Verhinderung zukünftiger Diskriminierungen.
- dokumentiert die Beschwerde und ihre Bearbeitung.
Beschwerdestellen sind Teil der Beschwerdestrukturen und wichtig für eine gelebte Antidiskriminierungskultur in Unternehmen. Die Entscheidung um Maßnahmen und ihre Umsetzung liegt beim Arbeitgeber.
Wichtigste Ergebnisse
Die Organisationen aus der Praxissammlung wählen unterschiedliche Formen der organisatorischen Verankerung: Teilweise werden Beschwerdestrukturen eigenständige Stellen im Unternehmen eingeräumt oder sie sind Fachabteilungen zugeordnet.
Einige der betrieblichen Beschwerdestellen erweitern ihren Aufgabenbereich. Neben AGG-Merkmalen werden mitunter andere Diskriminierungsmerkmale wie die soziale Lage, allgemeine diskriminierungsunabhängige Konflikte oder Themen wie Mobbing (und Stalking) behandelt.
Zwei-Säulen-Modell
Mithilfe der Gute-Praxis Beispiele wird ein Grundmodell entwickelt, das Arbeitgebern als Orientierung für den Aufbau ihrer Beschwerdestelle dienen soll. Es handelt sich um eine Zwei-Säulen-Beschwerdestruktur innerhalb der betrieblichen Beratungs- und Beschwerdearchitektur.

Quelle:ADS
Neben der Beschwerdestelle wird eine eigenständige Anlauf- und Beratungsmöglichkeit vor oder neben der AGG-Beschwerde empfohlen. Während die Beschwerdestelle die Aufgabe hat, Diskriminierungsbeschwerden im Auftrag des Arbeitgebers unparteilich zu prüfen und darauf aufbauend Maßnahmen zu empfehlen, ist die Anlaufstelle/Ansprechperson dafür zuständig, Betroffene parteilich und vertraulich zu unterstützen und zu Handlungsmöglichkeiten zu beraten. Diese Strukturen sollten in die Gesamtorganisation eingebunden werden.
Folgende Aspekte, die bei der Ausgestaltung der Beschwerdestelle zu beachten sind, werden in der Studie vertieft beleuchtet:
- Die Beratungs- und Anlaufstellen innerhalb der betrieblichen Beschwerdearchtitektur: Implementierung der Zwei-Säulen-Beschwerdestruktur
- Ansiedlung, Ausstattung und Besetzung der Beschwerdestelle
- Weisungsungebundene fachliche Arbeit der Beschwerdestelle
- Rolle von Betriebs- und Personalrät*innen und Beauftragten
- Zuständigkeitsbereich der Beschwerdestelle
- Qualifikation und Qualitätssicherung
- Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Beschwerdestelle
- Das Beschwerdeverfahren:
- Kontaktaufnahme und Vorgespräch
- Formale Aufnahme der Beschwerde und Ermittlung des Sachverhaltes
- Entscheidung über die Beschwerde
- Empfehlung von Maßnahmen
- Entscheidung über Maßnahmen und Umsetzung
- Nachgespräch
- Einbindung der Beschwerdestruktur in die Gesamtorganisation
- Evaluierung und Monitoring
- Präventive Maßnahmen und strukturelle Einbindung
Neben diesem Modell kommen auch alternative Varianten wie externe Beschwerdestellen, kombinierte Modelle, die Beratung und Beschwerde in einer Stelle oder dialogbasierte Verfahren infrage. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen sind diese von Interesse, da die Kapazitäten für ein Zwei-Säulen-Modell oft nicht ausreichen.
Handlungsoptionen
Um Organisationen in der Umsetzung von Beschwerdestrukturen zu unterstützen, braucht es nicht nur einen institutionellen Orientierungsrahmen, sondern auch übergeordnete politische Rahmenbedingungen, die bei der Umsetzung unterstützen.
Die folgenden Empfehlungen adressieren verschiedene Bedarfe, denen Organisationen begegnen.
1. Durch Konkretisierungen des AGG sollten die gesetzlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen Gestaltungsspielraum eröffnen, aber auch Orientierung und Hilfestellung zur Ausgestaltung der Beschwerdestelle geben.
Empfohlen wird,
- die bestehende Regelung grundsätzlich um die weisungsunabhängige Bearbeitung von Beschwerden und die Sicherstellung der Qualifizierung der Beschwerdestelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu erweitern. Ab einer bestimmten Größe der Organisation sollte eine Formalisierung der Zuständigkeiten und des Verfahrens der Beschwerdestelle erfolgen sowie eine jährliche Berichtslegung verpflichtend sein.
- die gesetzliche Klarstellung, dass Beschwerdestellen nach dem Prinzip der Glaubhaftmachung arbeiten. Zusätzlich sollte im Sinne der Niedrigschwelligkeit für Betroffene benannt werden, dass das subjektive Vorliegen einer Diskriminierung eine ausreichende Grundlage für das Einreichen einer Beschwerde darstellt.
- Sanktionen bei mangelhafter und fehlender Einrichtung einer Beschwerdestelle zu benennen. Der Gesetzgeber könnte klarstellen, dass die fehlende Einrichtung einer Beschwerdestelle zugunsten der klagenden Partei zu berücksichtigen ist. Analog zum Hinweisgeberschutzgesetz ist auch die Verhängung eines Bußgeldes denkbar.
- Diskriminierungen nach dem AGG in den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes aufzunehmen.
2. Bei Arbeitgebern sollte das Bewusstsein für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Beschwerdestrukturen bzw. Entscheidung für Umsetzung gestärkt werden.
Empfohlen wird,
- das Thema Beschwerdestellen auf allen Ebenen stärker als wichtigen Bestandteil einer zeitgemäßen und professionellen Organisationskultur und eines wirksamen Diskriminierungsschutzes zu kommunizieren.
3. Es bedarf Fachwissen zu Beschwerdestrukturen durch Qualifizierungs- und Beratungsstrukturen, damit Beschwerdestellen passgenauer umgesetzt werden können.
Empfohlen wird,
- dass Ministerien, Hochschulen, Stiftungen, Wirtschaftsverbände, Kammern und Interessenvertretungen wissenschaftliche Untersuchungen und Praxisprojekte beauftragen oder umsetzen, um das Wissen zur Verbreitung, Wirkungsweise und Wirksamkeit von Beschwerdestrukturen in Organisationen systematisch zu erweitern.
4. Es bedarf der Unterstützung der Umsetzung und kontinuierlichen Arbeit von Beschwerdestellen, beispielsweise durch den Ausbau von Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, das Erstellen von Materialien oder den Aufbau von Service- und Unterstützungsangeboten für Beschwerdestellen.
Empfohlen wird:
- eine Unterstützung und Vernetzung der vorhandenen Angebote auf Landesebene durch die Landesbehörden, Dachverbände und Interessenvertretungen,
- die Schaffung neuer Fortbildungsformate bzw. -angebote durch die Bundesebene (beispielsweise die Antidiskriminierungsstelle des Bundes), aber auch Gewerkschaften, Verbände und Kammern,
- die Organisation von teilgeförderten Fortbildungsmaßnahmen und Angeboten für Kleinere und Mittlere Unternehmen durch die Kammern
- sowie die branchenbezogene Erarbeitung und Bereitstellung von frei zugänglichen und niedrigschwellig nutzbaren Materialien und Schulungsformaten auf dem aktuellen Stand der Fachdiskussion durch Branchen- und Interessenverbände.
Empfohlen werden weiterhin:
- die fachliche Weiterentwicklung von Konzepten der Fachberatung,
- die Ausweitung der Kapazitäten der Fachberatung unter anderem durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
- sowie der branchenbezogene und regionale Aufbau einer über die juristische Expertise hinausgehenden Fachberatung zu einzelnen, womöglich herausfordernden Fällen durch Kammern und Interessenverbände.
Für kleine Organisationen sollte der Zugang zu dieser Fachberatung kostenfrei möglich sein.