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Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt

Strategien zum Nachweis rassistischer Benachteiligungen

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Annekathrin Müller, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2015

Kurzüberblick

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat 2015 erstmals eine groß angelegte Testing-Studie umgesetzt, um Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt zu untersuchen. Mit 604 gültigen Tandems im Telefon-Testing, 175 Vergleichspaaren im Face-to-Face-Testing sowie Fokusgruppeninterviews ist es eine der größten Erhebungen Deutschlandweit. Die Studie geht der Frage nach, ob sich die „ethnische Herkunft“ oder religiöse Zugehörigkeit nachteilig für die Wohnungssuchenden auswirkt und wie sich Diskriminierung im Vermietungsprozess äußert. Weiterhin sollten Testing-Verfahren zur Sichtbarmachung von Benachteiligung bei der Wohnungsvergabe erprobt werden.

Wichtigste Ergebnisse

Methode und Ergebnisse

In der Studie wurde mit "Paired Ethnic Testings" gearbeitet. Hierbei interessieren sich zwei Bewerberinnen für die gleiche Wohnung. Vom Profil her unterscheiden sie sich lediglich in einem Merkmal: eine Testperson hat einen (zugeschriebenen) Migrationshintergrund und/oder eine sichtbare jüdische oder muslimische Religionszugehörigkeit, die andere Testperson geht als Christin ins Feld und kann der mehrheitsdeutschen Bevölkerung zugeordnet werden. Alle anderen Merkmale wurden konstant gehalten. So ist die Testidentität in der Studie eine junge Frau zwischen 20 und 45 Jahren und mit einer unbefristeten Stelle ökonomisch abgesichert. Sie ist ledig, kinderlos und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Anschließend werden die Testverfahren miteinander verglichen und Unterschiede können auf das getestete Merkmal zurückgeführt werden.

Telefon-Testing

Die Testpersonen haben telefonisch bei den Anbieter*innen einen Besichtigungstermin erfragt. Hierbei unterschieden sie sich insbesondere hinsichtlich ihres Akzentes oder Namens, der eine mehrheitsdeutsche, türkische, arabische oder osteuropäische Zuschreibung zuließ. Ergebnis der beiden Testings ist, dass die Bewerberin mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund im Vergleich zu ihrer mehrheitsdeutschen Testpartnerin im Durchschnitt 7 Prozent häufiger benachteiligt wurde.

Face-to-Face-Testings

Bei den Face-to-Face-Testings bewarben sich die zwei Testerinnen mit o.g. Testidentität zeitnah, aber unabhängig voneinander um dieselbe Wohnung und traten mit den Anbieter*innen persönlich in Kontakt.

Die Testings wurden in Berlin, Leipzig und Nürnberg durchgeführt. Dabei wurden Benachteiligungen auf drei Ebenen berücksichtigt: „engere Wahl“, „Rückmeldung“ und schließlich „Wohnungszusage“.

Die Ergebnisse zeigen, dass in den ersten beiden Phasen (engere Wahl und Rückmeldung) keine signifikante Benachteiligung aufgrund rassistischer Zuschreibung festgestellt wurde. Auf der dritten Ebene „Wohnungszusage“ allerdings wurde eine statistisch signifikante Diskriminierung gemessen. Der Anteil der Testpersonen, die eine Wohnungszusage erhalten haben, liegt (bei zeitlicher Differenzierung) bei 25,4 Prozent für migrantische Testerinnen und bei 45,8 Prozent für mehrheitsdeutsche Testerinnen. Bezüglich des Merkmals Religionszugehörigkeit wurde mit Anteilen von 17,9 bis 59 Prozent ein hochsignifikantes Ergebnis erreicht, dass Diskriminierung aufgrund jüdischer oder muslimischer Religionszugehörigkeit aufzeigt.

Insgesamt zeigte sich, dass es bei allen Anbieter*innengruppen zu Benachteiligungen kommt. In der Anzahl der geforderten Dokumente ist zwar keine Ungleichbehandlung festzustellen, jedoch schwankt die Anzahl der beizubringenden Dokumente zwischen den Anbieter*innengruppen – was die Gefahr einer unmittelbaren Diskriminierung birgt. Weiterhin steigt das Diskriminierungsrisiko bei kleineren Wohnungen mit geringer Ausstattung sowie auf angespannten Wohnungsmärkten.

Fokusgruppeninterviews

Neben den durchgeführten Testings flossen auch die Erkenntnisse qualitativer Fokusgruppeninterviews, unter anderem mit lokalen Antidiskriminierungsbüros, städtischen Mietvereinen und Migrations- oder Integrationsräten, in die Analyse ein. Unterschiedliche Themenschwerpunkte wie zum Beispiel städtische Segregation, Höchstgrenzen und Quotierungen oder der Einfluss von Sprache, Akzent und Namen wurden hier diskutiert. 

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es selbst unter vermieterfreundlichsten Voraussetzungen zu rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt kommt, die sich insbesondere im letzten Schritt des Wohnungsvergabeverfahrens zeigt. Das Risiko einer Benachteiligung wird durch eine sichtbare muslimische oder jüdische Religionszugehörigkeit nochmals deutlich erhöht.

Handlungsoptionen

Aus den Studienergebnissen leiten sich Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteursgruppen am Wohnungsmarkt ab.

Für Wohnraumanbieter*innen

  • Sensibilisierung und Wissensvermittlung für Gatekeeper zum Diskriminierungsschutz, insbesondere im Hinblick auf Dritte, die im direkten Kontakt zu den Wohnungssuchenden stehen, z.B. Hausverwaltungen oder Hausmeister*innen
  • Kritische Überprüfung der Anforderungsstandards in Bezug auf geforderte Dokumente zur Identifizierung und Vermeidung mittelbarer Zugangshürden
  • Maßnahmen zur Stärkung der Antidiskriminierungskultur

Für die Gesetzgebenden

  • Stärkung von Testing-Verfahren im Rahmen der Beweislast § 22 AGG
  • Kritische Überprüfung der Ausnahmeregelungen nach § 19 Abs. 1, 3 und 5 AGG bzgl. ihrer Anwendungspraxis und Diskriminierungspotentiale
  • Ausweitung des Diskriminierungsschutzes im AGG auf Benachteiligungen durch beteiligte Dritte
  • Verankerung eines Verbandklagerechtes im AGG

Für die Forschung

  • Bekanntmachung und Weiterentwicklung wissenschaftlicher Testing-Studien als Methode zur Sichtbarmachung verdeckter Diskriminierung
  • Weitere systematische Untersuchungen zu Diskriminierung am Wohnungsmarkt, insbesondere unter intersektioneller Perspektive mit Bezug zu den Merkmalsbereichen sozioökonomischer Status, Staatsbürgerschaft und Familiensituation

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