AGG-Beschwerdestelle: Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH Berlin)
Die Beschwerdestelle der ASH Berlin ist für Beschäftigte, Studierende, Besucher*innen und Praxisstellen zuständig. Ihre Struktur und das Verfahren sind durch eine Antidiskriminierungssatzung formal geregelt, die gerade überarbeitet wird. Die Beschwerdestelle ist Teil einer Struktur aus Antidiskriminierungskommission, Antidiskriminierungsberater*innen und einem Netzwerk von Akteur*innen im Themenfeld Gleichstellung und Antidiskriminierung. Sie ist fachlich eingebunden in das Arbeitsbereich Intersektionale Praxis und Transformation (InPuT) der Hochschule.
Das Wichtigste in Kürze
- Arbeitgebertyp:
- Öffentlicher Betrieb und Verwaltung
- Branche:
- Hochschule/Universität
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- circa 800, Anzahl der Studierenden: circa 4.300
- Beschwerdestruktur:
- seit 2021
- Weitere Maßnahmen / Strukturen:
- Antidiskriminierungskommission, Antidiskriminierungsberater*innen, Netzwerk Gleichstellung, Antidiskriminierung und Diversity
- Good Practice-Fokus:
-
- Anonyme Beschwerden und Möglichkeit der Beschwerderücknahme
- Sofortmaßnahmen/Direktintervention
- Zuständigkeit für Diskriminierungen im digitalen Raum und außerhalb des Campus
- Lernende Organisation, Organisationales Gedächtnis
- Sammlung struktureller Lücken
- Bewertung uneindeutiger Situationen, Glaubhaftigkeitsfeststellung
Kontakt
Peps Gutsche E-Mail: beschwerdestelle-antidiskriminierung@ash-berlin.eu Telefon: 030 992 45-320
Kurzbeschreibung des Akteurs
Die Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH Berlin) ist die größte staatliche SAGE-Hochschule (Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung) Deutschlands. Im Sinne Alice Salomons, der Begründerin sozialer Berufsarbeit in Deutschland, verfolgt sie zentrale Prinzipien wie die Akademisierung und Professionalisierung sozialer Berufe, die Verbindung von Theorie und Praxis, Inter- und Transdisziplinarität sowie Internationalisierung. Die ASH Berlin hat circa 800 Mitarbeiter*innen und circa 4.300 Studierende, die sich auf 19 Studiengänge aufteilen. Die Hochschule ist wesentlich über einen zentralen Campus strukturiert.
Gesprächspartner*innen
Das Gespräch fand mit der für die Geschäftsstellen verantwortlichen Person und einem Mitglied der Beschwerdestelle statt, das gleichzeitig die Schwerpunktprofessur für Gleichstellung, Diversity und Antidiskriminierung innehatte.
Aufbau der Beschwerdestruktur
Die Beschwerdestelle setzt sich aus zumindest zwei Hochschulmitgliedern mit Fachkenntnissen im Bereich Diskriminierung und einer Person mit juristischem Sachverstand im Bereich Antidiskriminierung zusammen (vergleiche Satzung § 13). Die Berufung erfolgt zeitlich befristet auf zwei Jahre paritätisch durch die Hochschulleitung und den Akademischen Senat, dem die Antidiskriminierungskommission Vorschläge macht.
Das Beschwerdeverfahren wurde 2021 im Rahmen der Antidiskriminierungssatzung festgelegt. Es setzt die Vorgaben des AGG und des Landesantidiskriminierungsgesetzes Berlin (LADG) zu Diskriminierungsbeschwerden um. Zusätzlich wurden Regelungen integriert, die die Zugänglichkeit und Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens erhöhen und im nächsten Abschnitt ausführlich vorgestellt werden.
Organisatorisch und inhaltlich unterstützt werden die Mitglieder der Beschwerdestelle durch eine Geschäftsstelle, angesiedelt im Arbeitsbereich Intersektionale Praxis und Transformation (InPuT).
Die Beschwerdestelle ist Teil einer umfassenderen Struktur zur Thematisierung und zum Abbau von Diskriminierung im Rahmen der Hochschule. Diese besteht aus der Antidiskriminierungskommission, vertraulich arbeitenden Antidiskriminierungsberater*innen und der Beschwerdestelle.
Die Antidiskriminierungskommission setzt sich paritätisch aus allen Mitgliedergruppen der Hochschule zusammen, verbindet und unterstützt die Akteur*innen im Bereich Antidiskriminierung und übernimmt koordinierende Aufgaben.
Die Antidiskriminierungsberater*innen werden von der Hochschulleitung bestellt und setzen sich unter anderem mandatierten Interessenvertretungen und den einschlägigen Referaten der Studierendenvertretung zusammen. Ihre Aufgabe ist es, von Diskriminierung Betroffene, Zeug*innen und Unterstützungspersonen zu unterstützen. Sie beraten parteilich, informieren über geeignete interne und externe Unterstützungsmöglichkeiten und bieten eine Erstberatung zum Beschwerdeverfahren an.
Eine fachliche Einbindung der verschiedenen Strukturen in die Hochschulstrukturen und deren kontinuierliche Weiterentwicklung erfolgen durch den Arbeitsbereich Intersektionale Praxis und Transformation (InPuT).
Alle internen Strukturen der Hochschule, ihre Zusammensetzung, Zuständigkeiten und Aufgaben sind in einer Antidiskriminierungssatzung geregelt.
Good Practice-Fokus und praktische Erfahrungen
Anonyme Beschwerden und Möglichkeit der Beschwerderücknahme
In der Satzung ist geregelt, dass Beschwerden anonym eingereicht werden können. Mitunter waren beschwerdeführende Personen nur eine einzelne Person in der Beschwerdestelle namentlich bekannt. Die Pflichten der Hochschule zur Prüfung erforderlicher Maßnahmen bleiben bestehen. Gleichzeitig ist bei vollständiger Anonymität das Beschwerdeverfahren nur begrenzt umsetzbar und die beschwerdeführende Person kann beispielsweise nicht über die Ergebnisse der Beschwerde informiert werden. Deshalb sind zusätzlich auch gegenüber der Beschwerdestelle anonymisierte Beschwerden möglich, die beispielsweise durch Antidiskriminierungsberater*innen anonymisiert vermittelt werden. Diese Dritten fungieren als Verbindungsglied für Nachfragen und Informationen zwischen der beschwerdeführenden Person und der Beschwerdestelle. Weiterhin haben Beschwerdeführende auch nach Beginn des Beschwerdeverfahrens die Möglichkeit, ihre Beschwerde zurückzuziehen oder einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zu stellen, sofern die Hochschulleitung nicht zum Handeln verpflichtet ist.
Sofortmaßnahmen/Direktintervention
Bereits zu Beginn oder während eines laufenden Beschwerdeverfahrens können Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Sie sollen Beschwerdeführende schützen und mögliche Wiederholungen und Eskalationen verhindern. Diese Sofortmaßnahmen begründen sich aus der Fürsorgepflicht der Hochschule und sind präventive Interventionen. Sie sind keine Vorwegnahme von Prüfergebnissen oder daraus folgenden Sanktionen. Insbesondere bei akuten Gefährdungs- oder Belastungssituationen und langwierigen Beschwerdeverfahren können sie ein sinnvoller Zwischenschritt sein, um beschwerdeführenden Personen die weitere Teilhabe am Hochschulbetrieb zu ermöglichen. Ein Beispiel ist die Regelung, dass eine Lehrveranstaltung zunächst nur noch online durchgeführt wird oder ausschließlich in den Räumen der Hochschule stattfinden kann.
Zuständigkeit für Diskriminierungen im digitalen Raum und außerhalb des Campus
Die Gültigkeit der Satzung und die Zuständigkeit der Beschwerdestelle gehen über Handlungen im unmittelbaren Hochschulkontext hinaus. Sie umfassen auch den digitalen Raum und Situationen außerhalb der Hochschule, sobald eine unmittelbare Auswirkung auf die Teilhabe am Hochschulbetrieb (Studier- und/oder Arbeitsfähigkeit) vorliegt. Dies ist beispielsweise bei sexuellen Belästigungen und Übergriffen der Fall, die von Mitgliedern der Hochschule an Studierenden/Mitarbeitenden verübt werden, zum Beispiel auf Veranstaltungen außerhalb der Hochschule oder in sozialen Netzwerken.
Lernende Organisation
Es gibt einen systematischen Austausch der Beschwerdestelle, der Antidiskriminierungsberater* innen und der Akteur*innen innerhalb des InPuT. Ziel dieses Austauschs ist es, die Satzung und andere Regelungen auf der Basis der Anwendungspraxis zu reflektieren, Lücken oder Unklarheiten zu benennen und die Beschwerdestrukturen weiterzuentwickeln. Ein Punkt ist beispielsweise die Ergänzung der Rahmenstudienprüfungsordnung, die aktuell noch keine Regelung für den Umgang mit diskriminierenden Schlechterbenotungen beinhaltet.
Organisationales Gedächtnis
Eine Herausforderung besteht darin, Wissen über Diskriminierungsbeschwerden und die daraus folgenden Maßnahmen wirkungsvoll innerhalb der Hochschule an die relevanten Stellen zu kommunizieren. Das betrifft unter anderem nebenberufliches Lehrpersonal, das über zeitlich befristete Lehraufträge angestellt ist und etwa die Hälfte der Mitarbeitenden ausmacht. Für diese Mitarbeitenden gibt es keine Personalakten, in denen arbeitsrechtliche Maßnahmen vermerkt wären. Auch die Maßnahme, dass eine Person keine Lehraufträge mehr erhalten soll, kann organisationell nicht ohne Weiteres gespeichert und später von der auftraggebenden Stelle abgerufen werden. Ebenso betroffen sind sich wiederholende Beschwerden gegen eine Person, die in der Vergangenheit zu keinen Einträgen in der Personalakte geführt haben.
Hier existiert ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz von Studierenden und Mitarbeitenden einerseits und dem Datenschutz andererseits. Um diese Fragen grundsätzlich zu beantworten, hat die ASH Berlin hat einen Auftrag für die Erstellung eines Konzepts für ein datenschutzkonformes Organisationsgedächtnis vergeben.
Gleichzeitig werden bereits jetzt Zwischenlösungen gesucht. Für das Problem der Neubeauftragung gesperrter Lehrbeauftragter etwa wurde auf ein bereits bestehendes Verfahren zurückgegriffen. So ist es möglich, innerhalb des Vergabesystems die Information zu hinterlegen, dass eine Person nicht erneut beauftragt werden soll, ohne dass die konkreten Gründe ausgeführt werden müssen.
Sammlung struktureller Lücken
In den Beratungen, Beschwerdeverfahren und fachlichen Gesprächen werden strukturelle Lücken deutlich, die Mitglieder der Hochschule betreffen, für die jedoch keine Beschwerden durch Betroffene vorliegen. Ein Beispiel ist etwa die mittelbare Diskriminierung von Studierenden mit Behinderung durch die aktuelle Fahrtkostenregelung für Studienfahrten, in der zusätzliche Kosten beispielsweise für eine barrierefreie Unterbringung nicht berücksichtigt werden. Diese oftmals mittelbaren Formen der Diskriminierung wurden bis September 2024 von der Schwerpunktprofessorin bearbeitet. Seitdem werden sie über den Arbeitsbereich InPuT bearbeitet.
Bewertung uneindeutiger Situationen
Nicht in allen Beschwerdefällen liegen eindeutige Belege für oder gegen eine Diskriminierung vor. Gleichzeitig kommt der Entscheidung der Beschwerdestelle in konkreten Fällen eine hohe Bedeutung zu und die Entscheidung, dass keine Diskriminierung vorliegt, kann als „Freispruch“ gedeutet werden. Hierfür hat die Beschwerdestelle die Praxis einer dritten Entscheidungsoption entwickelt. Neben den Möglichkeiten, dass eine Diskriminierung vorliegt oder nicht vorliegt, kann sie entscheiden, dass die Frage nicht abschließend beantwortbar ist. Vor diesem Hintergrund können dann auch Empfehlungen für Maßnahmen ausgesprochen werden.
Tipps für die Übertragung
Die Beschäftigung mit Diskriminierung ist ein komplexes Thema, in dem sich fachliche Fragen konkret stellen – in der Bewertung von Sachverhalten, der Suche nach angemessenen und wirksamen Interventionen et cetera. Für den notwendigen Austausch und die fachliche Reflexion benötigt es Ressourcen und Räume. Beschwerdestellen bewegen sich in einem umkämpften Themenfeld, in dem zum Teil harte Machtkämpfe ausgetragen werden. Hierfür sind eine Absicherung des Verfahrens und der Strukturen sowie ein ausreichender Schutz der Mitarbeitenden der Beschwerdestelle nötig. Bei gesellschaftlich polarisierenden Themen, exponierten Organisationen und strukturell benachteiligt positionierten Mitarbeitenden geht es dabei auch um die Beschäftigung mit der Möglichkeit von Übergriffen und Hate Speech.