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AGG-Beschwerdestelle: Ford-Werke Köln

Die „Betriebliche Beratungsstelle“ der Ford-Werke GmbH fungiert als Anlaufstelle für Mobbing und Stalking und zugleich als AGG-Beschwerdestelle. Daneben haben die Beschäftigten die Möglichkeit, das Non-Compliance-System des Mutterkonzerns zu nutzen.

Das Wichtigste in Kürze

Arbeitgebertyp:
Privates Unternehmen
Branche:
Verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren
Anzahl der Mitarbeiter*innen:
circa 10.5000
Beschwerdestruktur:
seit 2006
Weitere Maßnahmen / Strukturen:
Diversity-Management, Diversity-Steuerungskreis und verschiedene Mitarbeitenden-Netzwerke
Good Practice-Fokus:
  • Personelle Besetzung, Rollenverständnis und Qualifikation
  • Klares Beschwerdeverfahren
  • Strukturelle Einbindung
  • Internationale Beschwerdestrukturen

Kontakt

Dorthe Mika E-Mail: dmika@ford.com

Kurzbeschreibung des Akteurs

Die Ford-Werke GmbH sind Teil des internationalen Unternehmens Ford Motor Company und beschäftigen in Deutschland über 14.000 Mitarbeitende in den Standorten Köln/Niehl-Merkenich, Saarlouis und Aachen.

Gesprächspartner*innen

Das Reflexionsgespräch wurde mit der Sprecherin der Beschwerdestelle des Standorts Köln/ Niehl-Merkenich geführt, die als freigestelltes Betriebsratsmitglied seit 2005 in der Beratungsstelle und seit 2006 in der AGG-Beschwerdestelle des Unternehmens aktiv ist.

Aufbau der Beschwerdestruktur

Seit 2002 gibt es eine Beratungsstelle bei den Ford-Werken, 2006 ist ihr formal die Aufgabe der AGG-Beschwerdestelle übertragen worden. Die sogenannte „Betriebliche Beratungsstelle Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ wurde in „Betriebliche Beratungsstelle Fair at Ford“ umbenannt.

Sie ist als Beschwerdestelle zuständig für den größten Betriebsstandort in Niehl-Merkenich und berät die anderen Standorte, die eine eigene Beschwerdestelle haben. Die Beratungsstelle ist auch zuständig für Leiharbeiter*innen und Bewerber*innen.

Das Verfahren ist in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Die Beratungsstelle ist für Diskriminierung und sexuelle Belästigung (AGG) sowie Stalking und Mobbing zuständig. 95 Prozent der bearbeiteten Fälle bewegen sich im Bereich Konflikt und Mobbing. Die zwölf Mitglieder der paritätisch besetzten Beratungsstelle sind für die Beschäftigten jederzeit ansprechbar und treffen sich an neutralen Orten innerhalb oder außerhalb des Betriebs.

Good Practice-Fokus und praktische Erfahrungen

Personelle Besetzung, Rollenverständnis und Qualifikation

Die Beratungsstelle ist paritätisch besetzt. Sechs der zwölf Mitglieder vertreten Arbeitnehmende, in der Regel Betriebsrät*innen. Sechs weitere Mitglieder vertreten die Arbeitgebendenseite, darunter der Werksarzt und ein leitender Angestellter. Es gibt keine formellen Freistellungen für die Mitglieder. Um eine weitgehende Unabhängigkeit zu gewährleisten, werden freiwerdende Plätze durch die Gruppe selbst basisdemokratisch gewählt.

Die paritätische Besetzung der Beratungsstelle erfordert einen reflektierten Umgang mit der eigenen Rolle. Als goldene Regel zum Umgang mit der Gefahr der Doppelmandatierung und Befangenheit gilt daher: Als Mitglied der Beratungsstelle werden sie nie im eigenen Geschäftsbereich tätig. Als Berater*innen sollten sie die Personen im Verfahren möglichst nicht kennen.

Wenn die Betriebsrät*innen in der Beratungsstelle von Beschäftigten angesprochen werden, klären sie immer zuerst, ob sie als Mitglied des Betriebsrats oder als Berater*in adressiert sind. Als Betriebsrät*innen vertreten sie einseitig die Interessen der Beschäftigten und beraten diese parteilich. Als Berater*in müssen sie neutraler auftreten.

Auch wegen dieser Anforderung legt die Beratungsstelle großen Wert auf Qualifikation und regelmäßige Reflexion:

  • Alle Mitglieder haben AGG-Schulungen und Mediationsausbildungen besucht.
  • Die Gruppe fährt jedes Jahr für zwei Tage auf eine Klausur, trifft sich zu einem weiteren Klausurtag zur gemeinsamen Reflexion von Werten, Prozessen und Tools sowie zu einem Fortbildungstag mit externen Trainer*innen zu spezifischen Themen wie zum Beispiel psychischer Gesundheit.
  • Die Gruppe hat einmal jährlich einen Supervisionstag und trifft sich alle zwei Wochen zur Intravision der bearbeiteten Fälle.

Klares Beschwerdeverfahren

Für das Beschwerdeverfahren hat die Beratungsstelle ein klar definiertes Vorgehen, das für AGG-Fälle wie auch für Mobbing und Stalking gleichermaßen gilt.

  • Die beschwerdeführende Person wendet sich an eine Person aus der Beschwerdestelle, die in einem Erstgespräch klärt, ob die Beratungsstelle zuständig ist. Bei Konflikten, die nicht in Zusammenhang mit Diskriminierung stehen, kann auch weiterverwiesen werden, zum Beispiel , wenn es um Einstufungsfragen oder die Leistungsbeurteilung geht.
  • Danach bespricht die Gruppe den Fall und wählt zwei Berater*innen zur Bearbeitung aus.
  • Im Ermittlungsverfahren werden zuerst der*die Beschuldigte und danach möglichst viele Zeug*innen gehört, darunter auch nicht direkt am Geschehen Beteiligte. Die Berater*innen sichten und bewerten alle verfügbaren Informationen, wie beispielsweise die Mailkommunikation.
  • Abschließend bilden sich die Berater*innen ein Urteil und sprechen – wenn eine Diskriminierung vorliegt – Empfehlungen für Maßnahmen oder Sanktionen aus. Diese gehen bei Konfliktfällen an die zuständigen Führungskräfte und den Betriebsrat, bei AGG-Fällen direkt an die Personalabteilung.
  • Der entsprechende Fachbereich, die Personalabteilung oder der Betriebsrat teilt der beschwerdeführenden Person sowie der Beratungsstelle die Entscheidung mit. Die Beratungsstelle wird auch darüber informiert, ob die empfohlene Maßnahme umgesetzt wird.
  • Alle Verfahrensschritte werden intern dokumentiert. Im Unterschied zu Fällen von Konflikt und Mobbing werden bei AGG-Beschwerden alle Prozessschritte juristisch verwertbar dokumentiert.

Für das komplette Beschwerdeverfahren gilt das Auftragsprinzip. Es wird kein Schritt unternommen, der nicht mit den Beschwerdeführenden abgestimmt ist. Dies betrifft auch die Information der beschuldigten Person über eine Anhörung oder die Entscheidung, welche Personen als Zeug*innen gehört werden. Die Beschwerdeführenden behalten durchgängig „die Regie“ über das Verfahren. Die Beratungsstelle nimmt damit in Kauf, in einzelnen Fällen nicht aktiv werden zu können. Hier überwiegt das Ziel, mit dem Vorgehen Vertrauen aufzubauen, sodass sich Menschen an sie wenden.

Für das gesamte Verfahren gilt das Prinzip der Vertraulichkeit. Bei jedem Gespräch mit Zeug*innen wird explizit um Vertraulichkeit gebeten. Den Mitgliedern der Beratungsstelle ist bewusst, dass das Risiko der Verletzung der Vertraulichkeit größer wird, wenn viele Menschen in die Ermittlung einbezogen werden. Das ist ein Dilemma, mit dem sie umgehen müssen.

Strukturelle Einbindung

Im Unternehmen gibt es neben der „Beratungsstelle“, die auch die Aufgabe der AGG-Beschwerdestelle innehat, einen Diversity Manager, der bei der Personalabteilung angesiedelt ist, sowie verschiedene Mitarbeitenden-Netzwerke (Resource-Groups) zu Diversity-Themen. Die Beratungsstelle ist im Diversity-Steuerkreis vertreten und kann hier Themen auf die Agenda setzen, die sich aus den Fällen der Beratungsstellen ergeben. Der Diversity-Steuerkreis kann dann Zahlen anfordern, gegebenenfalls strukturelle Diskriminierung aufdecken und entsprechende Empfehlungen geben.

Zusammenspiel mit dem Mutterkonzern

Die Ford-Werke GmbH sind Teil des internationalen Ford-Konzerns mit Sitz in den USA. Im Mutterkonzern gibt es ebenfalls Mechanismen zur Beschwerdeführung, die auch für die Beschäftigten in den deutschen Standorten gelten. Bei der globalen anonymen Hotline „Speak Up“ können sich die Beschäftigten bei Non-Compliance-Fällen melden, also auch bei Diskriminierungsfällen. Die Meldung wird dann aus den USA an die lokale Personalleitung zur Untersuchung gegeben, die sie wiederum an die Beschwerdestelle weiterleitet. Beschwerden, die über Speak Up laufen, werden auch ohne Zustimmung der beschwerdeführenden Person geführt.

Wenn Beschäftigte der Ford-Werke GmbH als International Service Employees zeitweise im Ausland arbeiten, gilt für sie das lokale Recht vor Ort. Umgekehrt können ausländische Mitarbeitende nach drei Monaten Einsatz an einem deutschen Standort die Beratungsstelle beanspruchen.

Tipps für die Übertragung

Die Kollegin aus der Beschwerdestelle der Ford-Werke GmbH empfiehlt, eine AGG-Beschwerdestelle nicht bei der Personalabteilung anzugliedern, sondern eine neutrale und unabhängige Stelle aufzubauen, die von Beschäftigten- und Arbeitgebendenseite paritätisch und bezogen auf Vielfaltskategorien sehr heterogen besetzt ist.

Zur Qualitätssicherung hat sich bewährt, alle Fälle immer zu zweit zu bearbeiten und in einer regelmäßigen Intravision im Team auszuwerten.

Entscheidend für eine erfolgreiche Beschwerdestruktur ist eine klare Haltung der Unternehmensleitung gegen Diskriminierung. „Rote Linien“ müssen allen bekannt sein und entsprechende Vorfälle ernst genommen und – wenn notwendig – sanktioniert werden.

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