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AGG-Beschwerdestelle: IG Metall

Die Beschwerdestelle der IG Metall ist außer für AGG-Fälle auch für Mobbing und größere Konflikte zuständig. Sie bietet Beschwerdeführenden neben dem offiziellen Beschwerdeverfahren auch eine Beratung mit der Möglichkeit der gemeinsamen Überlegung des weiteren Vorgehens und gegebenenfalls der unmittelbaren Klärung des Anliegens an.

Das Wichtigste in Kürze

Arbeitgebertyp:
Gemeinnützige Organisation
Branche:
Gewerkschaft
Anzahl der Mitarbeiter*innen:
circa 2.600
Beschwerdestruktur:
seit 2021
Weitere Maßnahmen / Strukturen:
Zuständigkeit der Beschwerdestelle für Konflikte und Mobbing, externe Beratung für Mitarbeitende, breites Fortbildungsangebot
Good Practice-Fokus:
  • Beratung und Beschwerde aus einer Hand
  • Umgang mit Rollenkonflikten
  • Qualitätssicherung, Evaluierung und strukturelle Einbindung

Kontakt

Christina Geisthardt E-Mail: christina.geisthardt@igmetall.de Pia Bräuning E-Mail: pia.braeuning@igmetall.de

Kurzbeschreibung des Akteurs

Die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) ist mit über zwei Millionen Mitgliedern die größte Einzelgewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie vertritt die in ihr organisierten Arbeitnehmenden der Branchen Metall/Elektro, Stahl, Textil/Bekleidung, Holz/Kunststoff, Informations- und Kommunikationstechnologiebranche und Handwerk. Die IG Metall ist bundesweit in 7 Bezirke aufgeteilt und mit ca. 150 Geschäftsstellen vertreten. Die Vorstandsverwaltung der IG Metall befindet sich in Frankfurt am Main.

Gesprächspartner*innen

Das Reflexionsgespräch wurde mit zwei Mitgliedern aus der Beschwerdestelle sowie einer Kollegin aus dem Vorstandsbereich, die Betriebsräte anderer Betriebe beim Aufbau von Beschwerdestellen unterstützt, geführt.

Aufbau der Beschwerdestruktur

2019 hat die IG Metall begonnen, ein Verfahren für eine Beratungs- und Beschwerdestelle zu entwickeln, und es 2021 in der Gesamtbetriebsvereinbarung „Förderung der Kollegialität und Wahrung der persönlichen Integrität“ veröffentlicht. Die Betriebsvereinbarung sieht eine vierköpfige Beschwerdestelle vor. Die vier Mitglieder werden durch Arbeitgebende und Gesamtbetriebsrat nach einem klar formulierten Anforderungsprofil gemeinsam ausgewählt. Es ist daher nicht zwingend eine paritätische Besetzung. Alle Kolleg*innen haben jeweils 50 Prozent Stellenanteil für diese Arbeit zur Verfügung.

Die Beschwerdestelle ist über AGG-Fälle hinaus auch für alle Konflikte zuständig, die einen „Angriff auf die persönliche Integrität“ darstellen. Es fallen also auch Mobbing-Fälle in die Zuständigkeit der Beschwerdestelle. Darüber hinaus hat sie die Aufgabe, auch niedrigschwellige Konflikte aufzugreifen, bevor sie eskalieren. Ergänzt wird die Struktur von einer extern angebotenen Mitarbeitendenberatung. Die Themen AGG und Diskriminierung werden regelmäßig unter anderem über Onlineseminare an alle Beschäftigten vermittelt.

Good Practice-Fokus und praktische Erfahrungen

Ein definiertes Verfahren für Beratung und Beschwerde in einer Hand

Die Gesamtbetriebsvereinbarung definiert eine Beratungs- und eine Beschwerdephase. Für beide Phasen sind die Kolleg*innen der Beschwerdestelle zuständig.

In der Beratungsphase können sich die Ratsuchenden an die Beschwerdestelle wenden. Die Kolleg*innen in der Beschwerdestelle sind hier frei in der Ausgestaltung des Beratungsprozesses. Alle Informationen werden vertraulich behandelt und es gilt durchgängig das Auftragsprinzip. Das bedeutet, dass die Beschwerdestelle in dieser Phase nichts unternimmt, was nicht mit der ratsuchenden Person abgestimmt ist.

Ratsuchende Personen können ihren Fall schildern, ihre Wahrnehmung wird dabei nicht in Zweifel gezogen, es findet keine Sachverhaltsermittlung statt. Die Mitarbeiter*innen verstehen sich hier nicht als „Anwälte der Betroffenen“, sondern versuchen die Gespräche empathisch, aber neutral zu führen. Die Beschwerdestelle kann schon in dieser Phase konkrete Hilfestellungen anbieten. So kann sie zu der beschuldigten Person Kontakt aufnehmen und eine Klärung des Konflikts oder auch eines Diskriminierungsfalls unterhalb einer Beschwerde begleiten und dabei auch externe Konfliktmoderation einschalten. Die Beschwerdestelle kann den Arbeitgebenden auch bereits in der Beratungsphase Maßnahmen vorschlagen. Dies könnte beispielsweise der Vorschlag einer externen Konfliktmoderation sein oder Unterstützung der Führungskraft bei Konfliktbewältigung im Team.

Ist eine Klärung nicht möglich, können ratsuchende Beschäftigte bei AGG-Fällen und anderen Fällen von „Angriffen gegen die persönliche Integrität“ jederzeit auch eine offizielle Beschwerde einlegen, in der dann nach einem klar definierten Verfahren eine Sachverhaltsermittlung durchgeführt wird.

In beiden Verfahren wird großer Wert auf Vertraulichkeit gelegt. Beschwerdegegner*innen und Zeug*innen wird kommuniziert, dass eine Verletzung der Vertraulichkeit ein abmahnungswürdiges Verhalten darstellt.

Die IG Metall hat sich bewusst für dieses Verfahren entschieden, in dem Beratung, informelle Konfliktklärung und das offizielle Beschwerdeverfahren von der gleichen Stelle und den gleichen Personen durchgeführt wird. Damit soll zum einen ein niedrigschwelliger Zugang ermöglicht werden: Kolleg*innen, die sich an die Beschwerdestelle wenden, müssen nicht vorher schon wissen, ob es sich nach AGG um Diskriminierung handelt. Zum anderen müssen die beschwerdeführenden Beschäftigten nicht mit dem gleichen Fall zu verschiedenen Stellen gehen.

Für die Beschwerdeführenden bedeutet dies, dass sie damit umgehen müssen, wenn die Mitarbeiter* innen der Beschwerdestelle im Übergang von der Beratung zur Beschwerde „den Hut wechseln“ und in einer nochmals neutraleren Haltung ermitteln müssen. Auch die Beschwerdegegner* innen können irritiert sein, wenn sie erfahren, dass die Beschwerdestelle schon länger mit der beschwerdeführenden Person im Kontakt war, bevor sie davon erfahren. Schließlich weiß die Beschwerdestelle auch um das Risiko, dass sie als Organ der Arbeitgebenden in der Beratungsphase von Diskriminierungsvorfällen erfahren kann, aber nicht ohne die Zustimmung der beschwerdeführenden Person tätig werden darf.

Die Anzahl von 75 Fällen innerhalb von zwei Jahren deutet darauf hin, dass die aufgesetzte Struktur Wirkung zeigt. Ein großer Teil der Fälle sind keine AGG-Fälle. Waren es bei den AGG-relevanten Fällen anfangs mehr Beschwerdefälle, werden nun – und das ist auch so gewollt – immer mehr Fälle im Rahmen der Beratungsphase geklärt. Da bei einer Klärung in der Beratungsphase Sanktionen nicht im Vordergrund stehen, erleben die Mitarbeitenden der Beschwerdestelle hier auch weniger Widerstand bei den beschuldigten Kolleg*innen bezüglich Vereinbarung von Gesprächsterminen, Sachverhaltsaufklärung bis hin zur Akzeptanz vorgeschlagener Maßnahmen zur Verbesserung der Situation.

Umgang mit Doppelmandatierung und Befangenheit

Sowohl die Betriebsrät*innen als auch die Kolleg*innen aus der Personalabteilung können bei der unparteiischen Arbeit in der Beschwerdestelle in Rollenkonflikte kommen. Für beide Seiten gilt daher die klare Regel, dass keine Person einen Fall übernimmt, zu dem sie schon mehr weiß oder mit dem sie schon in anderer Rolle zu tun hatte. Falls dies in Ausnahmefällen nicht möglich ist, wird es offen thematisiert.

Diese Problematik wird immer wieder intern sowie in der Supervision sehr offen angesprochen. Darüber hinaus werden alle Gespräche zu zweit geführt, um sich hier gegenseitig darauf hinweisen zu können, wenn der Rollenkonflikt sichtbar wird. Die Kolleg*innen aus der Personalabteilung nutzen für die Arbeit in der Beschwerdestelle bewusst nicht die Unterlagen, auf die sie durch diese Funktion Zugriff haben.

Qualitätssicherung, Evaluation und strukturelle Einbindung

Die Mitglieder der Beschwerdestelle sind geschult, lassen sich kontinuierlich weiterbilden und haben regelmäßige moderierte Klausuren und Supervision. Sie treffen sich wöchentlich, um sich über die Fälle auszutauschen. In einer Evaluation wurden sowohl die Fälle aus den Beratungs- wie aus den Beschwerdeverfahren einbezogen. Die darin sichtbar gewordenen strukturellen Themen wurden im Rahmen der regelmäßigen Gespräche mit der Geschäftsführung weitergegeben.

Führungskräfte nutzen die Beschwerdestelle auch zunehmend als Fachberatung oder holen die Kolleg*innen für Schulungen in ihr Team.

Tipps für die Übertragung

Die Kolleg*innen aus der IG-Metall-Beschwerdestelle raten allen Betrieben, das Thema nicht erst zu bearbeiten, wenn es bereits eskalierte Diskriminierungsfälle gegeben hat, die – ohne geregeltes Verfahren – oft mit „offenen Geheimnissen“ und einer Täter-Opfer-Umkehr einhergehen. Die Mitarbeitendenvertretung und die Arbeitgebenden sollten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung ein tragfähiges Verfahren entwickeln und Schulungen sicherstellen. Eine gute Kooperation zwischen Arbeitgeber und (Gesamt-)Betriebsrat erhöht die Akzeptanz von Beschwerdestelle und Verfahren unter den Mitarbeitenden.

Zentral ist ein transparentes und sehr verbindliches Verfahren mit klaren Vorgaben und Vorlagen für die Dokumentation. Diese Vereinbarungen müssen „die Bibel“ sein. Die Mitarbeitenden der Beschwerdestelle selbst haben mit der Zeit gelernt, in ihrer Gesprächsführung klarer zu sein und zum Beispiel vereinbarte Gesprächszeiten auch einzuhalten. Alles entscheidend sind aber ausreichende Zeitressourcen. Selbst die relativ gute Ausstattung bei der Beschwerdestelle der IG Metall reicht kaum aus.

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