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Duale Hochschule Baden-Württemberg – Standort Stuttgart Beratung bei sexueller Belästigung – auf den Erstkontakt kommt es an

In diesem Beispiel wird ein Informationspaket für Mitarbeiter*innen vorgestellt, die als erstes Kontakt zu sexuell belästigten Menschen haben. Es zeigt auf, was sie und die Betroffenen tun können.

Arbeitgebertyp:
Privates Unternehmen
Anzahl der Mitarbeiter*innen:
ca. 500 Beschäftigte und ca. 9.000 Studierende am Standort Stuttgart
Maßnahme:
Informationspaket für den Erstkontakt mit Betroffenen und Ratsuchenden
Durchführung:
seit 2020
Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:

Satzung der Hochschule zum Schutz vor sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt

Kontakt

Astrid Oltmann, Allgemeine Studienberatung Ansprechperson für Fälle sexueller Belästigung und Antidiskriminierung E-Mail: astrid.oltmann@dhbw-stuttgart.de

Einige Angaben zum Arbeitgeber

Die Duale Hochschule Baden-Württemberg ist 2009 als Zusammenschluss unabhängiger Berufsakademien entstanden. Die hier beschriebenen Maßnahmen gelten für den Standort Stuttgart.

Ausgangslage und Motivation

Am Standort Stuttgart der Dualen Hochschule Baden-Württemberg wird seit längerer Zeit die Beratungsinfrastruktur gestärkt. Dies begann mit einer Studien- und einer Familienberatung und wurde nach einem Audit mit der Entwicklung zu einer familiengerechten Hochschule fortgeführt. Im Anschluss wurde eine AGG-Beschwerdestelle eingerichtet und Ansprechpersonen für Fälle von sexueller Belästigung für die gesamte Hochschule benannt. Eine solche ist nach der Satzung der Hochschule zum Schutz vor sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt vorgeschrieben. Der Hochschule war es wichtig, dass nicht nur die spezifischen Beratungsstellen und Beauftragten, sondern alle Beteiligten in die Lage versetzt werden, in Fällen von sexueller Diskriminierung, Belästigung und/oder Gewalt kompetent handeln zu können. Deshalb sollten verschiedene Materialien für alle denkbaren Erstansprechpersonen entwickelt werden. Diese informieren darüber, wie sie reagieren können, wenn sich jemand wegen konkreter Vorfälle an sie wendet.

Maßnahmenbeschreibung

Aus diesen Überlegungen ist ein Informationspaket entstanden, das durch das Zusammenspiel von verschiedenen Materialien wirkt:

  • Ein Handlungsleitfaden „Wer zu nah kommt, geht zu weit – Hilfe im Fall von Diskriminierung oder sexueller Belästigung“,
  • ein Handout „Wer zu nah kommt, geht zu weit – Hilfe im Fall von Diskriminierung und sexueller Belästigung. Hinweise für die Erstberatung“,
  • ein Flyer „Nein sagen zu Diskriminierung und sexueller Belästigung“.

Der Handlungsleitfaden beschreibt, was sexuelle Belästigung bedeutet, sowohl in der rechtlichen Definition als auch anhand von Beispielen. Es wird auf die Wichtigkeit einer antidiskriminierenden Hochschulkultur als Präventionsfaktor hingewiesen, auf die Möglichkeiten der Beschwerden über konkrete Vorfälle sowie auf den rechtlichen Rahmen und Sanktionsmöglichkeiten. Außerdem enthält der Leitfaden die Formulare, die in der Hochschule für die Dokumentation von Fällen sexueller Belästigung und dazu eingelegter Beschwerden vorgesehen sind.

Der Handlungsleitfaden soll zunächst den Betroffenen aufzeigen, welche Möglichkeiten sie haben sich zu wehren. Darüber hinaus sollen aber auch Studiengangsleitungen, Sekretär*innen, Bibliothekar*innen, Lehrpersonal usw. Informationen über den geeigneten Umgang mit Vorfällen sexueller Belästigung an die Hand gegeben werden.

Der zweite Baustein des Informationspaketes ist das Handout. Dieses wendet sich explizit an jene, die als erstes Kontakt zu einer Person haben, die sexuell belästigt wurden. In dem vierseitigen Handout sind in einfacher und prägnanter Darstellungsweise die wichtigsten Handlungsmaximen im Erstkontakt auf wenige Worte heruntergebrochen:

  • Ruhe bewahren
  • Ernst nehmen
  • Zuhören
  • ruhigen Ort suchen
  • einfühlsam reagieren
  • Anonymität wahren
  • keine Ratschläge geben
  • keine suggestiven Fragen stellen
  • nicht mitleidig reagieren

Im Anschluss an die Handlungsmaxime wird das weitere Vorgehen erklärt. Die Botschaft lautet: „NUR WENN DIE BETROFFENEN EINVERSTANDEN SIND, können weitere Schritte (…) unternommen werden!“ Ein Ablaufschema erläutert die unterschiedlichen Handlungsoptionen, die sich für die Betroffenen eröffnen.
Der dritte Baustein des Informationspaketes ist der Flyer „Nein sagen…“. Dieser dient der allgemeinen Sensibilisierung gegen sexuelle Belästigung und macht die anderen Materialien bekannt. Die Flyer liegen in der gesamten Hochschule aus. Mit dem Versand des Handlungsleitfadens und des Handouts an die Studienleitungen und Sekretariate wurde im Frühjahr 2020 begonnen. Die Vorstellung auf Sekretariats- und Fakultätskonferenzen konnte aufgrund der Corona-Pandemie nicht, wie ursprünglich geplant, durchgeführt werden und muss neu organisiert werden.

Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit

Da die Materialien erst zu Beginn des Jahres 2020 fertig gestellt worden sind und das universitäre Leben durch die Corona-Pandemie stark verändert wurde, ist eine Abschätzung der konkreten Wirkungen noch nicht abschließend möglich.

Der Rektor der Dualen Hochschule am Standort Stuttgart, Prof. Dr. Joachim Weber, hebt aber hervor, dass bei ihm nur durchweg positive Rückmeldungen eingehen, sowohl von Mitarbeiter*innen als auch von Studierenden. Sowohl der Umfang als auch die Gestaltung seien sehr gelungen. Dabei wird das Zusammenspiel von ausführlichem Leitfaden, Handout mit Kurzversion und dem Flyer gelobt. Die Hochschule sendet mit den Materialien die Botschaft, dass sexuelle Belästigung nicht geduldet wird.

Die Gleichstellungsbeauftragte der DHBW am Standort Stuttgart, Frau Prof. Dipl. Ing. Gärtner-Niemann betont, dass sowohl der Leitfaden als auch die Handouts sehr einprägsam gestaltet worden sind. Sie blieben damit - im Gegensatz zu vielen anderen Materialien - nachhaltig in Erinnerung. Selbst diejenigen, die sich das Handout nicht in das Büro hängen, wüssten so immer, wo sie im Bedarfsfall nachsehen müssen.

Heribert Krekel, eine der Ansprechpersonen bei sexueller Belästigung und seit langer Zeit mit Beratungssettings vertraut, betont, dass für eine gute Bearbeitung von Vorfällen von sexueller Diskriminierung, Belästigung und/oder Gewalt ein kompetentes Handeln aller Beteiligter nötig ist. Es brauche als erstes eine erhöhte Sensibilität aller, dass sexuelle Belästigung überall auftreten kann. Darüber hinaus müssen sowohl Betroffene als auch Ansprechpersonen die Rechte und die Verfahren kennen, um sich dagegen wehren zu können. Last but not least braucht es aber auch die Fähigkeit, im Ernstfall richtig reagieren zu können: „Wenn etwas auf einen hereinbricht, das Adrenalin-Schübe auslöst, hilft einem in diesem Moment alle Information nicht. Man muss dann aus dem Bauch heraus reagieren. Das Handout kann in diesem Sinne an die Pinnwand gehängt werden, um in einer solchen Situation eine emotionale Stütze zu haben. Der Gedanke, dass man sich das Handout aufhängt, ist der wichtige. Das Signal des Handouts ‚Ruhe bewahren‘ ist das allerwichtigste.“ Deshalb sei das Informationspaket so zusammen gestellt worden, dass in den Materialien alle genannten Aspekte abgebildet werden.

Einbettung der Maßnahme

Damit die vorgestellten Materialien ihre Wirkung entfalten können, muss es ein funktionierendes Verfahren für Beratung und Beschwerden bei sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt geben. Bei der DHBW ist dieses Verfahren in der Satzung zum Schutz vor sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt festgelegt. Hierin sind u.a. feste Ansprechpersonen für Beschwerden vorgesehen und das weitere Procedere im Umgang mit den Beschwerden festgelegt. Die Gleichstellungsbeauftragte, die als Studiengangsleitung gleichzeitig eine potentielle Erstansprechperson ist, empfindet die unabhängigen und geschulten Ansprechpersonen als sehr wichtig. Es sei gut, wenn man mit Hilfe der Materialien angemessen reagieren kann. Es brauche aber darüber hinaus Personen, die mit dem Verfahren sehr gut vertraut sind, umfassende Hilfe gewährleisten können und den beraterischen Umgang in Stresssituationen gewohnt sind.

Der Rektor betont darüber hinaus, dass trotz noch so guter festgeschriebener Regelungen am Ende nur zählt, ob die Organisation auch wirklich bereit ist, im konkreten Fall auch Konsequenzen zu ziehen. Die DHBW Stuttgart habe dies schon bewiesen und z.B. einen Lehrbeauftragten nicht mehr in der Lehre tätig sein lassen.

Tipps für die Übertragung

Die für die DHBW Stuttgart erstellten Materialien können unproblematisch auf andere Kontexte übertragen werden, wenn dort geeignete Beschwerde- und Beratungsstrukturen vorhanden sind, so Heribert Krekel. Für Verbreitung und Akzeptanz solcher Materialien sei die Unterstützung der Leitung notwendig. Diesem Punkt pflichtet auch Prof. Gärtner-Niemann bei. Erst wenn Top-Down ein grundsätzliches Commitment vorherrsche, könnten Bottom-Up-Aktivitäten ihre Wirkung entfalten. Herr Krekel weist darüber hinaus darauf hin, dass es sehr lohnenswert sei, die Materialien qualitativ hochwertig zu gestalten.

Das offizielle Logo von Duale Hochschule Baden-Württemberg – Standort Stuttgart