Norddeutscher Rundfunk Repräsentative Befragung aller Mitarbeiter*innen
Die Befragung aller Mitarbeitenden zum Thema Sexismus bildet den aktuellen Stand im Unternehmen ab und zeigt Relevanz und Akzeptanz bereits bestehender Maßnahmen.
- Arbeitgebertyp:
- Öffentlicher Betrieb und Verwaltung
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- 5.294
- Maßnahme:
- Befragung aller Mitarbeiter*innen
- Durchführung:
- seit 2019
- Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:
-
Beratungsangebote (intern und extern), Weiterbildungen durch Seminare und Workshops, Informationsveranstaltungen
Kontakt
Nicole Schmutte, Leiterin Abteilung Gleichstellung und Diversity E-Mail: n.schmutte@ndr.de
Einige Angaben zum Arbeitgeber
Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) ist die Landesrundfunkanstalt für die Bundesländer Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Zum NDR zählen verschiedene Hörfunk- und Fernsehprogramme sowie Orchester.
Ausgangslage und Motivation
Bereits vor der #Me Too Debatte setzte sich der NDR mit sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld auseinander. Es gab Ansprechpersonen bei Beratungsbedarf, auf die im Gleichstellungsbericht sowie im Intranet hingewiesen wurde und einen Link zum Leitfaden „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Die mediale Debatte im Jahr 2018 sowie die zeitgleiche Rückmeldung über sexistische und unangebrachte Sprüche gegenüber Volontär*innen rückten das Thema sexuelle Belästigung wieder verstärkt in den Fokus. Eine Gruppe von Volontär*innen machte in einem Beitrag bei „Zapp“ im Programm des NDR auf die Situation aufmerksam.
In der Folge überlegte die Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversity gemeinsam mit anderen Leitungskräften, wie sich der NDR noch besser gegen sexuelle Belästigung positionieren kann. Daraufhin wurden verpflichtende Seminare für Berufseinsteigende sowie freiwillige Seminare für alle Mitarbeitenden eingeführt. Zudem wurden die Sprechzeiten der Gleichstellungsbeauftragten ausgeweitet sowie externe Beratungsmöglichkeiten über die Lebensberatung eines dienstleistenden Familienservices angeboten.
Außerdem sollte eine umfassende Mitarbeiter*innen-Umfrage zum Thema Sexismus zum einen die persönliche Betroffenheit der Mitarbeitenden aufzeigen, zum anderen die Akzeptanz und Relevanz der bisherigen Maßnahmen abfragen.
Maßnahmenbeschreibung
Unter wissenschaftlicher Begleitung eines Forschungsinstituts führte der NDR 2019 zum ersten Mal eine repräsentative Mitarbeiter*innen-Umfrage zu Sexismus am Arbeitsplatz durch. Die Beschäftigten wurden nach konkreten Erfahrungen mit verbalem, non-verbalem und physischem Sexismus während der letzten 12 Monate, nach wirksamen Maßnahmen zur Vermeidung von Sexismus sowie zur Bekanntheit und Nutzung der bereits existierenden Angebote gefragt. Insgesamt nahmen 41 Prozent aller Beschäftigten an der Umfrage teil.
Die Ergebnisse der Umfrage wurden in der Geschäftsführungsklausur vorgestellt. Zudem wurde eine große Podiumsdiskussion mit Teilen der Geschäftsleitung und der Personalvertretung veranstaltet, im Live-Stream übertragen und im Intranet veröffentlicht.
Im Anschluss an diese Großveranstaltung wurden alle einzelnen Direktionen informiert. In mehr als 50 Informationsveranstaltungen wurde dabei auf die spezifischen Ergebnisse je nach Landesfunkhaus Bezug genommen. Das Interesse der Beschäftigten an diesen Veranstaltungen war sehr groß. Die Mitarbeiter*innen der einzelnen Landesfunkhäuser wurden von der jeweiligen Leitung der Direktion eingeladen, um die hohe Relevanz des Anliegens zum Ausdruck zu bringen. Bei den Veranstaltungen wurde das Gespräch mit den Beschäftigten gesucht, um für Beratungsangebote und Seminare zum Thema zu werben.
Die Ergebnisse zeigen, dass drei Viertel der Befragten der Meinung sind, dass sexistisches Verhalten in ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld nicht toleriert wird. Jedoch gaben ebenfalls mehr als die Hälfte (57 Prozent) an, dass sie mindestens einen zweideutigen Kommentar oder Witz in den letzten 12 Monaten erlebt haben. Zudem schätzen die befragten Mitarbeitenden die Beratung der Gleichstellungsbeauftragten als wirksamste Maßnahme zur Vermeidung von Sexismus ein, gefolgt von den verpflichteten Seminaren und den Vertrauenspersonen.
Die Umfrageergebnisse wurden zum Anlass genommen, um die bestehenden Angebote und Maßnahmen weiter auszubauen. Konkret wurden für alle Führungskräfte verpflichtende Workshops eingeführt und mehr männliche Vertrauenspersonen benannt, da aus der Umfrage hervorging, dass bei verbalem Sexismus auch Männer betroffen sind. Ebenso wurde der Verhaltenskodex erweitert und eine Dienstanweisung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erarbeitet.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Umfrage hat das Thema Sexismus beim NDR stark in den Fokus gerückt. Es folgten direkte Konsequenzen aus den Umfrageergebnissen, weitere Maßnahmen wurden initiiert. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Umfrage sei es gelungen, die Mitarbeiter*innen für Sexismus und sexuelle Belästigung und einen anderen Umgang miteinander zu sensibilisieren, so die Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversity Nicole Schmutte. Dafür habe sich der erhebliche Arbeitsaufwand gelohnt, so Schmutte.
Im Fragebogen gab es ein Freitextfeld für die persönlichen Erfahrungen mit Sexismus. Diese Zitate wurden anonymisiert und paraphrasiert und anschließend von verschiedenen Sprecher*innen vertont. In den Workshops wurden diese Beispiele vorgespielt, um mit den Mitarbeiter*innen über die Frage ins Gespräch zu kommen, wo sexuelle Belästigung eigentlich beginnt. Dies habe dazu geführt, die eigene Sprache und den eigenen Umgangston zu reflektieren, so Schmutte.
Als wirksamste Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung wurden in der Befragung die unterschiedlichen Beratungsangebote genannt. Die Verfügbarkeit verschiedener Ansprechpartner*innen und –stellen sei daher wesentlich. Da insbesondere die freien Mitarbeiter*innen befürchten, nach Aufdeckung sexueller Belästigung keine Aufträge mehr zu bekommen, seien auch anonyme Beratungsmöglichkeiten wesentlich. Zudem sei es entscheidend, sexuelle Belästigung immer wieder zu thematisieren. So wird allen Beschäftigten deutlich gemacht, dass dies beim NDR nicht toleriert wird.
Auch die schriftlichen Vereinbarungen wie die Dienstanweisung und der Verhaltenskodex verdeutlichen, dass Sexismus beim NDR nicht akzeptiert wird. Die Rundfunkanstalt verpflichtet alle Mitarbeiter*innen dazu, sich an die Vorgaben zu halten, so Schmutte.
Einbettung der Maßnahme
Einen Schwerpunkt in der Erweiterung der Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung stellt in jedem Fall der Ausbau des vielfältigen Beratungsangebotes dar.
Neben den Gleichstellungsbeauftragten, der AGG-Beschwerdestelle, der Personalabteilung und dem Personalrat gibt es etwa 100 Vertrauenspersonen in den unterschiedlichen Direktionen. Diese stehen den Betroffenen als erste niedrigschwellige Anlaufstelle zur Verfügung. Die Vertrauenspersonen wurden in einem Seminar zur sexuellen Belästigung geschult und sind daher auch besonders sensibilisiert, um Stimmungen im Team mitzubekommen und darauf zu reagieren. Darüber hinaus können sich die Mitarbeitenden auch an eine externe Lebensberatung wenden, welche rund um die Uhr von Psycholog*innen besetzt ist oder die Beratung der Themis-Vertrauensstelle in Anspruch nehmen. Im Intranet gibt es außerdem die Möglichkeit, eine anonyme Beschwerde zu verfassen.
Beim NDR gilt ein allgemeiner Verhaltenskodex für alle Mitarbeitenden sowie eine Dienstanweisung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Im Verhaltenskodex heißt es: „Wir dulden keinen Sexismus und keine sexuelle Gewalt, wir dulden keine Diskriminierung.“ In der Dienstanweisung sind die verschiedenen Beratungsangebote aufgeführt und in ihren unterschiedlichen Funktionen erläutert, um Transparenz und Sicherheit für Betroffene herzustellen. Zudem ist benannt, dass Verstöße gegen die Dienstanweisung zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zur außerordentlichen Kündigung führen können.
Tipps für die Übertragung
Eine Befragung aller Mitarbeitenden im Unternehmen ist eine gute Möglichkeit, Rückmeldungen zu den bisherigen sowie zukünftig gewünschten Maßnahmen zu erhalten sowie die Erfahrungen und Haltungen der Mitarbeiter*innen zu diesem Thema zu erfahren. Aus Sicht der Leiterin der Abteilung Diversity und Gleichstellung hat sich bewährt, bei der Abfrage nach Erfahrungen und Vorfällen eine zeitliche Begrenzung auf die letzten 12 Monate festzulegen und nicht allgemein nach allen vergangenen Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu fragen. Dies sei entscheidend, um den aktuellen Stand abzubilden und mit konkreten Maßnahmen darauf reagieren zu können.
Für eine möglichst hohe Beteiligung und damit aussagekräftige Ergebnisse müssen alle Beschäftigten motiviert werden teilzunehmen. Die Empfehlung der Geschäftsleitung, an der Befragung teilzunehmen, könne dabei die Relevanz hervorheben. Im Falle des NDR rief der Intendant alle Beschäftigten per Videobotschaft dazu auf, sich der Befragung zu beteiligen. Zusätzlich sei es sehr wichtig und vertrauensbildend, immer wieder die Anonymität und Freiwilligkeit der Befragung zu betonen.
