Arbeit und Leben Schleswig-Holstein DEBATTE – Demokratiebildung an (Berufs-)Schulen. Für mehr Toleranz und Teilhabe
Das Projekt DEBATTE verfolgt das Ziel, antirassistische Strukturen und die demokratische Kultur in Schleswig-Holstein zu stärken. Dafür werden Menschen im Alter von 18 bis 35 Jahren als Multiplikator*innen ausgebildet, die Projekttage an Schulen, Berufsschulen und anderen Bildungseinrichtungen durchführen und für verschiedene Diskriminierungsformen sensibilisieren. DEBATTE ist ein Modellprojekt im Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC).
- Schulform:
- Berufsschule, Gemeinschaftsschule, Gesamtschule, Gymnasium, Oberschule, Sekundarstufe
- Handlungsfelder:
- Durchführung von Projekttagen, Peer-to-Peer-Ansatz, Ausbildung von Teamer*innen für politische Jugendbildung
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Außerschulischer Träger, der mit allen Schulformen außer mit Grundschulen und Förderschulen zusammenarbeitet
- Bundesland:
- Schleswig-Holstein
- Diskriminierungskategorie:
- Alle Diskriminierungkategorien
- Durchführung:
- seit 2020
Kontakt
Svenja Reinholtz E-Mail: svenja.reinholtz@sh.arbeitundleben.de Maria Wallbrecht E-Mail: maria.wallbrecht@sh.arbeitundleben.de Allgemein E-Mail: sh@netzwerk-courage.de Telefon: 0431 5195-166 Mobiltelefon: 0151 50935503 Website: www.arbeitundleben-sh.de/debatte
Durchführende Organisation
Arbeit und Leben Schleswig-Holstein e. V. ist eine gemeinnützige Bildungseinrichtung und staatlich anerkannter Träger der Weiterbildung. Er steht in Trägerschaft des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Bezirk Nord und des Landesverbands der Volkshochschulen Schleswig-Holstein e.V.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
Am Reflexionsgespräch haben die Projektkoordinatorin, eine für die Projekttage und Teambetreuung zuständige Teamerin und ein ehemaliger Teamer teilgenommen.
Ausgangslage und Motivation
Diskriminierung ist in der Gesellschaft verwurzelt. Jede*r hat die Verantwortung, an einer sensibilisierten Gesellschaft mitzuarbeiten. Junge Menschen als Gestaltende der Demokratie werden dafür nach einem Peer-to-Peer-Ansatz lebensweltnah angesprochen.
Maßnahmenbeschreibung
Das Projekt DEBATTE ist Teil des Netzwerks für Demokratie und Courage (NDC). DEBATTE verfolgt das Ziel, bei Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren das Interesse an politischem Engagement zu wecken und sie zu befähigen, sich solidarisch für andere einzusetzen.
Die Projekttage
Im Rahmen von DEBATTE werden vier Projekttage mit den Schwerpunktthemen Rassismus, Klassismus, menschenverachtende Einstellungen und Antisemitismus angeboten. Die Projekttage werden nach bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards umgesetzt. Folgende Projekttage werden aktuell durchgeführt:
- „Widerstand ist zweckvoll“ – ein Projekttag zu Stimmen von rassismuserfahrenen Menschen und widerständigem und solidarischem Handeln gegen Rassismus
- „Alles für alle?!“ – ein Projekttag gegen Klassismus und für ein gutes Leben
- „Trotz alledem!“ – ein Projekttag zu emanzipatorischen Errungenschaften, gegen menschenverachtende Einstellungen und Strategien und für solidarisches Engagement
- „Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher.“ (Hannah Arendt) – ein Projekttag zu Kontinuität und Folgen von Antisemitismus, dem Zusammenhang mit Verschwörungsdenken und Möglichkeiten zur Intervention.
Jeder Projekttag dauert sechs Schulstunden und ist für Berufsschulen, allgemeinbildende Schulen und andere Bildungseinrichtungen kostenlos. Die Projekttage sind für verschiedene Altersgruppen konzipiert. Es kommen jugendgemäße, aktivierende Methoden zum Einsatz, wie zum Beispiel Gruppendiskussionen, Filme und Elemente aus der Spiel- oder Theaterpädagogik. Die Konzepte werden von Teamer*innen selbst entwickelt, die sie auch regelmäßig weiterentwickeln.
Auftrags- und Bedarfsklärung mit der Schule
Das Projekt DEBATTE kann zum Teil auf bereits bestehende Kontakte zu Schulen zurückgreifen. Die Kontaktaufnahme erfolgt proaktiv über Schulsozialarbeiter*innen oder engagierte Lehrkräfte, aber auch Schüler*innenvertretungen werden angeschrieben oder im Rahmen von Fachtagen und Netzwerktreffen persönlich angesprochen.
In einem Vorgespräch werden vorab unter anderem Bedarfe der jeweiligen Klassen, die Klassensituation und das Vorwissen besprochen. Es wird geklärt, ob es Vorwissen oder konkrete Vorfälle gibt oder ob ein allgemeines Interesse besteht. Häufig berichten Lehrkräfte, dass Diskriminierung bei ihnen in der Klasse ein Thema ist. An dieser Stelle ist eine Auftragsklärung wichtig. Da die Projekttage ein präventives Angebot und keine Interventionsmaßnahme sind, muss abgestimmt werden, was die Projekttage leisten können und wo die Grenzen sind. Wenn es sich um Diskriminierungsfälle handelt, wird an die spezialisierten Beratungsstellen verwiesen.
Umsetzung der Projekttage
Die Absprache und Entscheidung, welcher der vier oben genannten Projekttage an der Schule durchgeführt wird, wird im Rahmen der Auftragsklärung mit der Lehrkraft, der Schulsozialarbeit oder der Schulleitung abgestimmt. Auf Grundlage der standardisierten Module stehen der Ablaufplan, die Inhalte, die Methoden und die Ziele fest und geben den Rahmen für den Tag vor.
Die Umsetzung erfolgt eng an den jeweiligen Konzepten der Projekttage entlang. Zugleich wird versucht, auch auf spezifische Situationen einzugehen.
Wenn sich im Laufe des Projekttags Bedarfe herausstellen, die über den Projekttag hinausgehen, werden die Themen mit in die Nachbesprechung mit der Lehrkraft/der Schulsozialarbeit genommen. Eine Evaluation des Projekttags wird über Fragebögen erhoben.
Nachbesprechung mit Lehrkräften oder Schulsozialarbeit
Im Anschluss an einen Projekttag findet eine Nachbesprechung mit Lehrkräften oder der Schulsozialarbeit statt, bei der der Projekttag gemeinsam ausgewertet und reflektiert wird. Ob es zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit einer Schule kommt und weitere Projekttage durchgeführt werden, hängt von der jeweiligen Schule und den Kapazitäten im Projekt ab.
Verstetigung und Verankerung
Im NDC folgen Konzepterarbeitung und Ausbildung von Teamer*innen festen, bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien. Der Projektträger Arbeit und Leben Schleswig-Holstein arbeitet regelmäßig mit vielen Schulen zusammen. Er ist auf Fachtagen, in Beratungsnetzwerken, in Arbeitskreisen und bei Fachgesprächen sowie im Kompetenznetzwerk Demokratieförderung in der beruflichen Bildung vertreten.
Der Projektträger ist ebenso mit Stellen wie den Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus (RBTs) und LIDA, der Dokumentationsstelle für antisemitische Vorfälle in Schleswig-Holstein, vernetzt, was für die Verweisberatung an Schulen relevant ist.
Das Modellprojekt DEBATTE wird bis Ende 2024 gefördert durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie durch das Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
Benennung von Diskriminierung
Die Projekttage ermöglichen es, Diskriminierung zu benennen. Da die Lehrkräfte in der Regel nicht an den Projekttagen teilnehmen, können Schüler*innen offener über eigene Diskriminierungserfahrungen sprechen. Teilnehmende melden zurück, dass sie Diskriminierungserfahrungen machen – für die auch Lehrkräfte verantwortlich sind – und es ihnen wichtig ist, darüber sprechen zu können. Die Projekttage geben ihnen dafür einen Raum, indem sie mit ihren Erfahrungen gehört und ernst genommen werden.
Der Einfluss und die Unterstützung durch die Teamer*innen sind begrenzt. Sie haben gleichzeitig aber den Anspruch, die betroffenen Schüler*innen in den Situationen zu stärken. Eine Option ist dann, die Schüler*innen an qualifizierte Antidiskriminierungsberatungsstellen zu verweisen. Darüber hinaus motivieren sie die Schüler*innen, Betroffene im Alltag zu unterstützen und sich zu solidarisieren.
Stärkung der Klassengemeinschaft
Die Projekttage können zur Stärkung der Klassengemeinschaft beitragen. Die Schüler*innen haben durch die Projekttage einen gemeinsamen und zugleich begleiteten Raum, sich zu den Themen Antisemitismus, Rassismus oder auch Klassismus auszutauschen und (Handlungs-)Wissen zu erarbeiten. Schüler*innen fühlen sich bestärkt, sich gegen Diskriminierung im Alltag einzusetzen.
Impulse
Trotz der zeitlichen Begrenzung des Projekttags können Impulse in die Klasse gegeben werden, die zum Teil längerfristige Denk- und Reflexionsprozesse bei den Teilnehmenden anstoßen. An einer Schule beispielsweise haben engagierte Schüler*innen mit DEBATTE freiwillig nach Schulschluss zu den Themen Geschlechterrollen und Sexismus gearbeitet, weil sie mehr darüber lernen wollten. Die Durchführung mehrerer Projekttage in einer Klasse ist möglich. Zum Teil planen Schulen fest mit den Tagen und wiederholen sie jährlich, um Jahrgänge zu sensibilisieren.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Peer-to-Peer-Ansatz
Die Teamer*innen sind zwischen 18 und 35 Jahre alt und kennen die Lebenswelt und Sprache der Schüler*innen. Ein Qualitätsstandard ist dabei, die Teamer*innen im Rahmen einer sechstägigen Schulung gut auf ihre Arbeit mit den Schüler*innen vorzubereiten. Zu den weiteren Standards gehört auch, dass die Projekttage immer von zwei Teamer*innen durchgeführt werden. Im Feedback von Teilnehmenden werden häufig die interaktiven Methoden hervorgehoben: Arbeit mit Songtexten, Videoclips, Spiele und theaterpädagogische Methoden. Durch die regelmäßige Überarbeitung der Konzepte können neue Themen/Entwicklungen aufgenommen und an gesellschaftliche Debatten angeknüpft werden. Für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sorgt bei den Projekttagen die gemeinsame Vereinbarung von Regeln bei einer trotzdem lockeren Atmosphäre, da keine Benotung stattfindet, eine Du-Kultur gelebt wird und die Teamer*innen offen auftreten.
Bekanntheitsgrad des Angebots
Empfehlungen durch unter anderem ehemalige teilnehmende Schulen tragen zur Reputation des Bildungsangebots bei. Zudem sind die persönliche Ansprache von Lehrkräften, Sozialarbeit und Schüler*innenvertretungen deutlich effektiver, wenn es um das Gewinnen von Schulen geht. Diese haben sich besser bewährt als Werbung per E-Mail oder Telefon.
Herausforderungen und Grenzen
Erwartungen an einen Projekttag – Lösung konkreter Konflikte
Teilweise gibt es die Erwartung bei Lehrkräften, dass am Projekttag konkrete akute Konflikte in der Klasse aufgearbeitet werden – das kann ein Projekttag und können die Teamer*innen nicht leisten. In Vorgesprächen wird versucht, die Erwartungen abzuklären und die Grenzen des Projekttags aufzuzeigen.
Die Teamer*innen sind in der Regel einen begrenzten Zeitraum an der Schule. Der Zeitrahmen ist zu klein, um konflikthafte Situationen/Diskriminierungen in all ihrer Komplexität zu erfassen und zu bearbeiten. Teamer*innen können selbst keine Beratung anbieten. Wenn einzelne Schüler*innen den Bedarf haben, sich beraten zu lassen, verweisen die Teamer*innen an qualifizierte Beratungsstellen vor Ort, sofern es für das Anliegen Anlauf- und Beratungsstellen gibt.
Obgleich der Auftrag klar auf die Durchführung der Projekttage begrenzt ist, kann die Abgrenzung eine Herausforderung für Teamer*innen darstellen.
Tipps für die Übertragung
Zusätzlich zu den im Abschnitt „Gelingensfaktoren“ genannten Punkten empfehlen die Akteur*innen, vor Einführung von Angeboten an Schulen eine Bedarfsanalyse durchzuführen. DEBATTE ist dazu regelmäßig mit Bildungseinrichtungen im Gespräch.
