Werkstatt für Demokratieförderung e.V. „Wir tun was – Aktiv gegen Diskriminierung an Schulen“
Im Rahmen einer Projektförderung durch die hessische Landesregierung arbeitet die Werkstatt für Demokratieförderung e.V. mit zwei Pilotschulen zusammen. Schüler*innen werden im Rahmen ihrer dreijährigen schulischen Ausbildung zum*zur Erzieher*in in drei Modulen zum „Umgang mit Diskriminierung im Beruf“ qualifiziert. Parallel finden Schulungen für die Lehrkräfte statt. Eingebettet ist das Projekt in einen langfristigen Schulentwicklungsprozess hin zu einer „inklusiven Schule“.
- Schulform:
- Berufsschule
- Handlungsfelder:
- Diskriminierung als Thema im Unterricht, Kooperationen mit außerschulischen Partner*innen, Angebote für Fort- und Weiterbildung, Impulse für die diskriminierungskritische Schulentwicklung
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Gemeinnütziger Bildungsträger, der mit beruflichen Schulen arbeitet
- Bundesland:
- Hessen
- Diskriminierungskategorie:
- Rassistische Zuschreibungen
- Durchführung:
- seit 2020
Kontakt
Allgemein E-Mail: info@werkstatt-demokratie.de
Durchführende Organisation
Die Werkstatt für Demokratieförderung e. V. ist ein Verein, der sich die Stärkung demokratischer Strukturen durch Bildungsarbeit zum Ziel gesetzt hat. Er bietet Beratung, Begleitung und Bildung für Schüler*innen und pädagogische Fachkräfte an. Im Kernteam des Trägers arbeiten vier Personen, ergänzt durch weitere punktuell tätige Honorarkräfte.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
Das Reflexionsgespräch wurde mit einer Vertreterin der Werkstatt für Demokratieförderung e.V. geführt, die auch für die Begleitung der beruflichen Schulen zuständig ist.
Ausgangslage und Motivation
Im Rahmen der Beratung von Fachkräften aus Kitas und Schulen sowie von Eltern und Kindern wurde sichtbar, dass die erzieherischen Fachkräfte wenig spezifisches Handlungswissen haben, um Diskriminierung zu erkennen und dagegen vorzugehen.
Dies war der Anlass, um berufliche Schulen für den Aufbau einer nachhaltigen Zusammenarbeit und die Verankerung einer Fortbildung zu Diskriminierungssensibilität im Curriculum der Erzieher*innenausbildung zu gewinnen.
Kenntnisse im Themenfeld Antidiskriminierung werden für die angehenden Erzieher*innen als Professionalitätsmerkmal beschrieben. Sie brauchen dieses Wissen, um später im beruflichen Alltag gut aufgestellt zu sein.
Maßnahmenbeschreibung
Zugang zu Schulen
Die Werkstatt für Demokratieförderung e.V. geht mit dem Angebot auf berufliche Schulen zu, ihr Fortbildungsangebot innerhalb der Erzieher*innenausbildung durchzuführen. Die Voraussetzung dafür ist, dass sich die Schule mit Antidiskriminierung nicht nur auf individueller, sondern auch auf struktureller Ebene beschäftigen will. Dies beinhaltet die Schulung der Lehrkräfte, eine fortlaufende Prozessbegleitung durch die Trainer*innen von Werkstatt für Demokratieförderung e. V. sowie die Etablierung der curricularen Vor- und Nachbereitung dieser Qualifizierungsmaßnahme der Schüler*innen.
Verankerung des Themas Diskriminierung im Curriculum
Gemeinsam mit den zwei Pilotschulen wurde ein Fortbildungskonzept für die Klassen mit angehenden Erzieher*innen entwickelt. Es umfasst je einen Tag pro Ausbildungsjahr zu folgenden Themen:
1. Ausbildungsjahr: Basis-Fortbildung „Was ist Diskriminierung?“
2. Ausbildungsjahr: Aufbau-Fortbildung „Was sind die Folgen von Diskriminierung und wie kann ich intervenieren?“
3. Ausbildungsjahr: im Berufspraktikum: „Reflexion von Praxisfällen unter diskriminierungssensiblen Aspekten“
Dieses Angebot ist fest im Curriculum der beteiligten Schulen verankert und wird von der Werkstatt für Demokratieförderung e.V. parallel in allen Klassen eines Jahrgangs durchgeführt.
Die bewusste Reduzierung auf den inhaltlichen Schwerpunkt der Diskriminierungskategorie Rassismus ab dem zweiten Modul hat sich bewährt. Alle Diskriminierungskategorien in den drei Tagen abzudecken, wäre überfordernd. Die einzelnen Diskriminierungsformen könnten dann nur sehr oberflächlich behandelt werden.
Schulung der Lehrkräfte
Parallel zu den Fortbildungen für die Schüler*innen ist ein verpflichtender Bestandteil des Angebots, dass alle Lehrkräfte, die in der Erzieher*innenausbildung tätig sind, an einer eintägigen Fortbildung zu den gleichen Inhalten, jedoch mit dem Fokus auf ihre Rolle als Lehrende, teilnehmen. So soll gewährleistet werden, dass sie die Schulung der Schüler*innen gut begleiten können.
Impulse für die Schulentwicklung
Eingebettet ist das Projekt in einen langfristigen Schulentwicklungsprozess hin zu einer „inklusiven Schule“. Projektgruppe trifft sich – im Idealfall unter Einbindung der Schulleitung – in regelmäßigen Abständen über den Zeitraum von mehreren Jahren. Sie ist zum einen zuständig für die Organisation und Begleitung der Fortbildungsangebote, zum anderen entwickelt und begleitet sie weitere Aktivitäten für die gesamte Schule, wie beispielsweise die Durchführung eines pädagogischen Tags für das ganze Kollegium oder andere kleinere Projekte.
Verstetigung und Verankerung
Es gibt regelmäßige Planungs- und Austauschtreffen sowie klar geregelte Zuständigkeiten für die Lehrkräfte und den außerschulischen Träger. Der Pilotdurchgang wurde evaluiert.
Die Maßnahme ist projektfinanziert und dadurch für die Schule kostenfrei. Die Schule bringt Ressourcen in Form von Arbeitszeit der beteiligten Lehrkräfte ein. Die Förderung durch die hessische Landesregierung läuft zunächst bis Ende 2024.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
Stärkung der Schüler*innen
Der erste Pilotdurchgang wird gerade evaluiert. Dabei wird sichtbar, dass den Schüler*innen die Inhalte sehr wichtig waren und sie nicht verstehen konnten, dass das Thema Diskriminierung bisher nicht im Curriculum der Schule verankert war. Für die Schüler*innen haben die Module einen Zuwachs an Wissen gebracht. Sie fühlen sich dadurch gestärkt, diskriminierungskritische Fragestellungen auch außerhalb der Module im Schulleben einbringen und einfordern zu können.
In einer Schule haben Schüler*innen (Teilnehmende der Fortbildung) über eine Pinnwand im Schulgebäude an einer anonymen Abfrage von Diskriminierungserfahrungen an der eigenen Schule teilgenommen. Dadurch wurde sichtbar, wie verbreitet solche Erfahrungen dort sind. Dies hatte wiederum zur Folge, dass die vom Ergebnis beeindruckten Lehrkräfte das Thema ab diesem Zeitpunkt ernster nahmen.
Wirkung auf die Lehrkräfte
Auch die Lehrkäfte, die an ihrer Schule etwas verändern möchten, werden durch das Programm in ihrer Position gestärkt und sensibilisiert. So haben Lehrkräfte beispielsweise begonnen, von sich aus auf die Zugangsbarrieren der Schulmensa hinzuweisen, oder eigene kleinere Projekte gestartet. Fragen von Diskriminierung scheinen in der Folge auch im Unterricht präsenter zu werden.
Entwicklung von Professionalität
Daneben gibt es Effekte über die Schule hinaus. Im zweiten Modul bringen die Schüler*innen mehr Praxiserfahrungen und auch eigene Fallbeispiele aus dem beruflichen Kontext mit. Dadurch wird ihnen die Verantwortung, die sie als Erzieher*innen auch in dieser Hinsicht tragen, bewusst(er). Sie verstehen nun, dass der bewusste Diskriminierungsschutz einen Teil ihrer Professionalität als Erzieher*innen darstellt.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Zugang zu den Schulen
Bildungsträger stehen immer wieder vor der Frage, wie sie Schulen für einen diskriminierungskritischen Schulentwicklungsprozess gewinnen. Dem Team der Werkstatt für Demokratieförderung e. V. kam hier zugute, dass es auf Schulen zugehen konnte, zu denen schon seit längerer Zeit Arbeitsbeziehungen bestanden.
Der Zugang erfolgte über das Fortbildungsangebot für die Schüler*innen, bei dem es nicht um mögliche Defizite der Schule oder problematische Einstellungen der Schüler*innen ging, sondern um deren Qualifizierung für ihre zukünftige Tätigkeit als Erzieher*innen. Über die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Fortbildung wuchs auch in der Schule ein Verständnis, was Diskriminierung ist und wie aktiv dagegen vorgegangen werden kann.
Verankerung im Curriculum und externe Durchführung
Die drei Fortbildungstage sind nun fest im Curriculum verankert und werden von der Werkstatt für Demokratieförderung e.V. durchgeführt. Für die Schüler*innen macht es laut Evaluation einen Unterschied, dass diese Inhalte von externen Trainer*innen vermittelt werden. Diese werden – so auch die Wahrnehmung der Lehrkräfte – dadurch von den Schüler*innen anders wahrgenommen und bekommen so einen höheren Stellenwert.
Top-down-Prinzip und Kontinuität
Besonders förderlich für die Etablierung eines diskriminierungskritischen Bewusstseins an der Schule ist, wenn die Schulleitung klar hinter dem Programm steht. So finden Lehrkräfte, die dieses Anliegen teilen, nicht nur Rückhalt, sondern auch im Kollegium eine stärkere Resonanz.
Die Entwicklung und Umsetzung solch eines Programms brauchen Zeit und eine möglichst hohe personelle Kontinuität. Die Projektgruppen sollten daher so groß sein, dass sie auch personelle Wechsel verkraften.
Externe Prozessbegleitung
Für diskriminierungskritische Schulentwicklungsprozesse ist eine Prozessbegleitung von außen entscheidend. Gerade weil Diskriminierung an vielen Schulen nicht einfach zu besprechen ist, neigen einige dazu, sich im Kreis zu drehen und nicht ins Handeln zu kommen. Die Prozessbegleitung durch die Werkstatt für Demokratieförderung e.V. hilft hier, den Prozess zu strukturieren. Die Prozessbegleiter*innen sehen sich aber nicht nur als Moderator*innen, sondern bringen auch ihre Expertise zum Thema ein und beziehen inhaltlich Position. Durch die mehrjährige Begleitung sind sie mit den Strukturen vertraut wie auch in ihnen präsent und anerkannt. Sie können so sehr offen über Diskriminierung sprechen. Sie sind, gemeinsam mit den Lehrkräften aus der Projektgruppe, das Gesicht für dieses Anliegen.
Herausforderungen und Grenzen
Die Rolle der Schulleitung
Die Verstetigung des Projekts an der Schule ist gefährdet, wenn die Schulleitung sich nicht aktiv dahinterstellt. Es bleibt dann die Zuständigkeit einer oder weniger Lehrkräfte, denen sowohl die zeitlichen Ressourcen als auch die Rückendeckung zur Etablierung einer Auseinandersetzung mit einem nicht überall beliebten und als notwendig erachteten Problemfeld fehlen.
Kontinuität
Es ist ein langer Weg, ein solches Projekt nachhaltig an den Schulen zu verankern. Dies setzt gleichsam eine lange Laufzeit der Projektfinanzierung voraus. Mit Ende der Förderperiode 2024 steht auch dieses Projekt und damit die Schulen selbst, vor der Frage nach der Weiterarbeit.
Begrenzte Ressourcen
Im Rahmen dieser Projektlaufzeit wurden die Inhalte an zwei Pilotschulen erprobt und etabliert. Weitere Schulen haben großes Interesse bekundet, konnten aufgrund der begrenzten Fördermittel aber nicht in die Umsetzung mit aufgenommen werden.
Sowohl die Durchführung der Fortbildungsmodule als auch die Prozessbegleitung erfordern einen umfangreichen Personaleinsatz des Trägers, da eine hohe Präsenz an den Schulen durch gleichbleibende Teams eine der Gelingensbedingungen des Projekts darstellt.
Tipps für die Übertragung
Diskriminierungskritische Schulentwicklung braucht Geduld und Beharrlichkeit. Über ein solches Projekt lassen sich Themen platzieren und verstetigen. Es ist gewährleistet, dass die Beteiligten hier ein Grundwissen erwerben. Entwicklungen auf struktureller Ebene können angestoßen werden.
In der Prozessbegleitung steckt viel zeitintensive Beziehungsarbeit. Dies erfordert eine kontinuierliche Präsenz an der Schule seitens des außerschulischen Trägers. Dabei müssen auch kleine Schritte und Erfolge unbedingt wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
