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Menschen aus Osteuropa werden beim Bürgergeld diskriminiert 16.12.2025

  • Benachteiligungen gegenüber Menschen mit osteuropäischer Migrationsbiografie erschweren den Zugang zu Arbeit und Sozialleistungen erheblich
  • Besonders deutlich wird das am Beispiel von Geflüchteten aus der Ukraine, die von Juni 2022 bis April 2025 unmittelbaren Zugang zum Bürgergeld erhalten hatten
  • Bundesbeauftragte Ataman: „Wir können es uns nicht leisten, qualifizierte Menschen durch strukturelle Hürden auszubremsen.

Menschen aus Osteuropa erleben in Jobcentern häufig Diskriminierungen. Das zeigt eine von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geförderte Studie. Sie untersucht deutschlandweit, wie Mitarbeitende in Jobcentern ihre Begegnungen mit Menschen aus dem östlichen Europa wahrnehmen und wie die Betroffenen selbst diese Erfahrungen schildern. Benachteiligungen entstehen demnach einerseits durch individuelle Ermessensspielräume von Mitarbeitenden in Jobcentern. Anderseits sind sie das Ergebnis struktureller und institutioneller Diskriminierungen gegenüber Menschen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Geflüchteter aus der Ukraine, denen von Mitarbeitenden in einigen Job-Centern unterstellt wird, „Sozialtourismus“ zu betreiben oder „faul“ zu sein.

Solche Zuschreibungen basieren auf historisch gewachsenen Stereotypen über osteuropäische ‚Armutsmigration‘, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen“, erläutern die Historiker Jannis Panagiotidis und Hans-Christian Petersen, Co-Autoren der Studie.

Solche Ressentiments können dazu führen, dass Menschen aus der Ukraine vorschnell in Niedriglohn-Jobs gedrängt werden, weil die schnelle Arbeitsvermittlung einer qualifizierten Arbeitsaufnahme vorgezogen wird“, sagte Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, anlässlich der Veröffentlichung der Studie. „Das hat zum Beispiel zur Folge, dass einem ukrainischen Facharzt ein Reinigungsjob vermittelt wird. Menschen aus dem östlichen Europa werden besonders oft in prekäre Beschäftigung gedrängt – nicht, weil es ihnen an Motivation fehlt oder sie besonders für den Niedriglohnsektor geeignet wären. Sondern weil rechtliche und politische Rahmenbedingungen ihnen keine Alternative lassen. Das schadet nicht nur den Menschen, sondern auch der Wirtschaft. In Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, qualifizierte Menschen durch strukturelle Hürden und Ressentiments auszubremsen“, so die Bundesbeauftragte.

Problematisch ist laut der Studie zudem, dass Ukrainer*innen – wie andere Leistungsbeziehende mit Migrationsbiografie – auf erhebliche Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt stoßen. Dr. Aleksandra Lewicki, Soziologin und Leiterin des Sussex European Institute und Co-Autorin der Studie: „Dazu gehören vor allem die langwierige und ineffiziente Anerkennung von beruflichen Abschlüssen, aber auch der befristete Aufenthaltsstatus (gemäß der Richtline zum vorübergehenden Schutz) sowie die Erwartungshaltung, dass gut ausgebildete Ukrainer*innen sich mit einem Job weit unter ihrem Qualifizierungsniveau zufriedengeben. Dies machte sich bereits beim Jobturbo bemerkbar und wird sich mit dem geplanten Wechsel ins Asylbewerberleistungsgesetz, wie er jetzt im Parlament verhandelt wird, weiter verschärfen – insbesondere da, anders als bei erfolgreichen Asylanträgen, kein Bleiberecht in Aussicht gestellt wird.“ 

Auf Basis der Studie formulieren die Forschenden mehrere politische Handlungsempfehlungen – darunter eine Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf staatliches Handeln. Etwa bei Diskriminierungen durch staatliche Stellen wie die Jobcenter. Außerdem sollten in Jobcentern die Angebote für antirassistische Schulungen weiter ausgebaut werden und zivilgesellschaftliche Initiativen sowie Beratungsstrukturen zu Antidiskriminierung langfristig gefördert werden.

Die Studie „Diskriminierung von Menschen aus dem östlichen Europa - das Jobcenter als Schnittstelle zwischen Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat“ wurde in Zusammenarbeit von Jure Leko, Dr. Aleksandra Lewicki, Jannis Panagiotidis und Hans-Christian Petersen durchgeführt und ist hier zu finden:

Studie "Diskriminierung von Menschen aus dem östlichen Europa - Das Jobcenter als Schnittstelle zwischen Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat"