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Input von Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beim BDA-Workshop zur Dritten Option am 26. November 2018 in Berlin 26.11.2018 | Redner*in: Bernhard Franke

Sehr geehrte Frau Klier,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Anwesende!

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8.11.2017 war aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ohne Frage ein Meilenstein. Die Richterinnen und Richter haben eindeutig klargestellt, dass der Schutz vor Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht nur für Männer und Frauen gilt. Er gilt vielmehr auch für Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.

Reden wir hier über eine winzig kleine Gruppe, wegen der wir jetzt das Recht und die Arbeitspraxis auf den Kopf stellen müssen, wie viele kritisieren? Dazu zwei Punkte:

Intersexuelle bzw. intergeschlechtliche Menschen, wie es richtigerweise heißen müsste, gibt es nicht erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hat in der Menschheitsgeschichte schon immer Menschen gegeben, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. In der Antike – und übrigens auch noch im preußischen Landrecht – waren diese Menschen respektiert und genossen gleiche Rechte. Die Stigmatisierung begann erst in der Neuzeit. Dabei haben intersexuelle Menschen das gleiche Recht auf Selbstbestimmung, auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und auf Gleichbehandlung wie alle anderen Menschen auch.

Dies damit in Frage zu stellen, dass ihre Gruppe zahlenmäßig klein sei (was im übrigen auch nicht stimmt, sie werden nur häufig nicht bemerkt), ist ein absolut zweifelhaftes Argument.
Zweitens kann (und sollte) dieser Beschluss aus unserer Sicht auch weitreichendere Konsequenzen haben, die nicht allein intersexuelle Menschen betreffen.

Zu meinem ersten Punkt:

Es gibt nicht sehr viele Studien über das Vorkommen intergeschlechtlicher Menschen, zumal die Variationen sehr vielfältig sind und manche erst im Erwachsenenalter entdeckt werden.

Eine Studie von Anne Fausto-Sterling aus dem Jahr 2000 schätzt, dass rund zwei Prozent aller Säuglinge geschlechtlich uneindeutig geboren werden. Lange sorgten nahezu standardmäßig geschlechtsanpassende Operationen für geschlechtliche „Eindeutigkeit“. Unter diesen Eingriffen, bei denen die meisten intergeschlechtlichen Menschen zu „Mädchen“ angepasst werden sollten, leiden viele Betroffene ihr Leben lang. Sie haben teilweise erhebliche gesundheitliche Schäden davongetragen, müssen lebenslang Hormone nehmen. Viele finden sich nicht mit der ihnen zugewiesenen Geschlechtsidentität zurecht. Laut einer aktuellen Studie von Ulrike Klöppel sind solche Operationen trotz anders lautender ärztlicher Leitlinien immer noch verbreitet. Wir haben es hier also mit einer Menschengruppe zu tun, deren Rechte bisher im medizinischen Bereich erheblich missachtet wurden, man kann auch von Menschenrechtsverletzungen sprechen.

Bis der Deutsche Ethikrat sich mit dem Thema befasste, kamen intergeschlechtliche Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor. Seit einigen Jahren gab es immerhin eine rechtliche Verbesserung: So ist es seit 2012 möglich, bei neugeborenen intergeschlechtlichen Kindern den Geschlechtseintrag offenzulassen. Das konnte aber nur eine Zwischenlösung sein, denn Folgefragen wurden dabei nicht geklärt.

Ein Beispiel: Als im vergangenen Jahr die „Ehe für alle“ eingeführt wurde, blieb hier Unsicherheit: Wenn die Ehe fortan für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt war, wo fänden sich dann Personen wieder, die keinen Geschlechtseintrag haben?

Nun gibt es einen neuen Gesetzentwurf. Heute findet dazu im Deutschen Bundestag eine öffentliche Anhörung statt. Es gibt zahlreiche Stimmen von Betroffenen, die Änderungen am Entwurf fordern, ja teilweise sogar, auf diesen Entwurf aufgrund seiner Unzulänglichkeiten lieber ganz zu verzichten.
Auch die Antidiskriminierungsstelle sieht hier deutlichen Anpassungsbedarf: Insbesondere die derzeit vorgesehene medizinische Nachweispflicht sollte in den weiteren Beratungen des Gesetzentwurfs gestrichen werden.

Es ist verfassungsrechtlich problematisch, dass intergeschlechtliche Menschen für eine Anpassung ihres Personenstands dem Gesetzentwurf zufolge eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müssten. Wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat: Die Geschlechtsidentität ist unmittelbarer Ausdruck des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es korreliert mit der Menschenwürde und ist nach den Vorgaben des Grundgesetzes höchst schutzwürdig.

Außerdem sind wir überzeugt – und hiermit komme ich zu meinem vorhin genannten zweiten Punkt: Der Beschluss des höchsten deutschen Gerichts hat über die Gruppe der intergeschlechtlichen Menschen hinaus Bedeutung: Der nicht-binäre Geschlechtseintrag „divers“ sollte allen Personen offenstehen, nicht nur dem sehr begrenzten Personenkreis mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“, wie im Entwurf vorgesehen. Das betrifft dann zum Beispiel auch transidente Personen, die sich nicht Mann oder Frau zuordnen möchten.

Die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold hat das sehr deutlich formuliert – ich zitiere: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Zweigeschlechtlichkeit im Personenstandsgesetz als das konstruiert, was sie ist: eine bloße rechtliche Fiktion. Ungeachtet des Umstands, dass viele problemlos und glücklich mit ihr leben, grenzt sie ohne Not und Rücksicht Menschen aus, die von ihr nicht vorgesehen sind.“

Deswegen geht – und ich nähere mich damit deutlich den Themen unseres heutigen Treffens – der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in seinen Konsequenzen deutlich über das Personenstandsrecht hinaus. Und er betrifft mehr als die Betroffenengruppe der intergeschlechtlichen Menschen.

Wenn wir, wie es das Bundesverfassungsgericht vorsieht, akzeptieren und respektieren, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, dann hat das vielfältige Konsequenzen. Nehmen wir das Beispiel der amtlichen Formulare und Zeugnisse. Die Wirkung eines weiteren Geschlechtseintrags bleibt im Rechtsverkehr nicht auf das Personenstandsregister beschränkt.

Mit dem dortigen Eintrag korrespondiert die Verwendung der Eintragung in amtlichen Formularen und Zeugnissen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht für diese Bereiche Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Aber unabhängig davon können und sollten Arbeitgeber sich überlegen: Wie wird man intergeschlechtlichen und auch transsexuellen Personen in Arbeitsverträgen und –zeugnissen gerecht? Wir plädieren hier dafür, auch vor der Änderung im Personenstandsrecht, auf die Bedürfnisse intergeschlechtlicher Personen Rücksicht zu nehmen.

Das Gleiche gilt für transsexuelle Personen und deren neu gewählte Namen.

Ein weiteres zentrales Thema sind bereits jetzt die Stellenausschreibungen. Diese müssen diskriminierungsfrei erfolgen, so sieht es § 11 AGG vor. Das kann dadurch erreicht werden, dass nach einer Qualifikation gesucht wird bzw. neutrale Begriffe verwendet werden, wie beispielsweise „Führungskraft“, „Auszubildende“ oder „Servicepersonal“.

Die übliche in Stellenausschreibungen verwendete Bezeichnung „(m/w)“ ist aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unzureichend. Mittlerweile gibt es auch zunehmend Arbeitgeber, die ihre Stellenanzeigen bereits angepasst haben: Sie verwenden bei Stellenausschreibungen etwa „(m/w/d)“ oder „(m/w/div.)“ für „divers“, „(m/w/divers)“ oder „(m/w/i)“ für „intersexuell“. Das halten wir für empfehlenswert, auch bereits jetzt vor Verabschiedung des Gesetzentwurfs.

Wie sieht es beim Abschluss von Verträgen aus?
Hier gilt, ähnlich wie bei Zeugnissen:

Rücksichtnahme und Respekt gegenüber dem Geschlechtsempfinden. Die Vertragspartner sind gemäß § 242 BGB verpflichtet, auf die geschützte geschlechtliche Identität ihrer Vertragspartner Rücksicht zu nehmen. Sofern eine Person sich ihrem Empfinden nach nicht in das binäre Geschlechtssystem einordnen lässt und dieses Empfinden ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist, reicht es nicht aus, wenn Vertragspartner weiterhin an einer binären Anredeform in Form von „männlich“ oder „weiblich“ festhalten.

Hier ist es vielmehr geboten, eine interessensgerechte Lösung zu finden.
Da es sich bei diesem Bedürfnis um eine „Schlüsselposition im Selbstverständnis einer Person“ handelt und somit der Kernbestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, kommt diesem Bedürfnis auf Berücksichtigung der geschlechtlichen Identität ein besonders hohes Gewicht zu.
Dies bedeutet: Betroffene können unabhängig von ihrem amtlichen Vornamen und unabhängig von ihrem personenstandsrechtlich eingetragenen Geschlecht von ihren Vertragspartnern grundsätzlich verlangen, eine Anredeform zu verwenden, die ihr Geschlechtsempfinden entsprechend wiederspiegelt.

Ein letzter Punkt: Als Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist uns die Nutzung und Ausgestaltung positiver Maßnahmen ein besonderes Anliegen. Für einen diskriminierungsfreien Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt im Arbeitsleben gibt es viele mögliche Ansätze:
Der Abbau von Diskriminierungspotenzialen im Rekrutierungsprozess kann unter anderem mit anonymisierten Bewerbungsverfahren vorangebracht werden.
Aber auch die Fortbildung von Personalverantwortlichen und Führungskräften ist ein geeignetes Mittel. Eine Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Betrieben für die Geschlechtervielfalt wäre ebenso geboten. Hilfreich wären hier eindeutige Unternehmensrichtlinien zu Diversität, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, die das Thema Geschlechtsidentität aufgreifen.

Insbesondere geht es also darum, ein Bewusstsein für geschlechtliche Vielfalt zu schaffen, das einen wertschätzenden Umgang miteinander ermöglicht. Hierzu tragen auch Beschäftigtennetzwerke sowie eine LGBTI-inklusive Unternehmenspolitik bei.
Soweit meine Ausführungen. Ich freue mich nun auf unser Gespräch und den weiteren Verlauf des Workshops.

Vielen Dank!