Grußwort von Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei der JIK Bundeskonferenz am 29. März 2019 in Berlin 29.03.2019 | Redner*in: Bernhard Franke
Sehr geehrter Herr Mündelein,
Sehr geehrte Abgeordnete,
Sehr geehrter Herr Krüger,
Sehr geehrte Anwesende,
ich freue ich mich sehr, die diesjährige Bundeskonferenz der Jungen Islamkonferenz miteröffnen zu dürfen und danke Ihnen sehr für die Einladung und die Organisation dieser wichtigen Veranstaltung.
Sie haben sich eine Menge vorgenommen für die nächsten Tage, und das ist gut so.
Ich halte die Bundeskonferenz auch für ein ganz wichtiges Diskussionsforum zu der Frage, wie wir gemeinsam der Zunahme an Rassismus in unserer Gesellschaft begegnen können.
Der Horror des islamfeindlichen Terrors von Christchurch muss es noch den Letzten vor Augen führen: Die Parolen von der Verteidigung des vermeintlich „christlichen Abendlandes“, die Warnungen vor einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“, sie führen auf den Weg in eine mörderische Gefahr.
Einer Gefahr für Musliminnen und Muslime - und deswegen einer Gefahr für unser aller Zusammenleben in einer offenen und demokratischen Gesellschaft.
Dieser Hass fordert unsere Gesellschaft heraus. Und die Antwort muss ein Aufstehen ALLER gegen muslimfeindlichen Rassismus sein.
Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, sich zu vernetzen.
Es ist wichtig, sich politisch zu engagieren und sich der Rechte und der Rolle jedes und jeder Einzelnen als Staatsbürgerin und Staatsbürger rückzuversichern.
Dazu bietet dieses Jahr bekanntlich einen besonderen Anlass. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feiert seinen 70. Geburtstag. Und damit auch Artikel 3, der, man kann das gar nicht oft wiederholen, ganz eindeutig sagt: (erstens) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und (drittens – unter anderem:). Niemand darf wegen seines Glaubens benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Zunahme islamfeindlich und antisemitisch motivierter Übergriffe in letzter Zeit zeigt uns leider, dass es für viele Menschen immer schwieriger und auch gefährlicher wird, ihren Glauben frei auszuleben.
Wenn Menschen aufgrund des Tragens von religiösen Symbolen angegriffen werden, dann dürfen wir das nicht hinnehmen. Ausgrenzungen und Diskriminierungen aufgrund der Religion zeigen sich aber nicht nur durch Übergriffe auf der Straße. Es beginnt subtiler. Gerade im Arbeitsleben werden Menschen wegen ihrer Religion benachteiligt.
Leider erfahren wir beispielsweise immer wieder, dass einzelne Arbeitgeber versuchen, durch Verbote vor allem muslimischen Frauen das Tragen von Kopftüchern zu untersagen - wie zuletzt bei einem Rechtstreit zwischen einer großen Drogeriekette und einer Mitarbeiterin, die ihr Kopftuch nicht „im Kundenkontakt“ tragen sollte.
Die Frau hat den Prozess gewonnen, und das ist gut so. Benachteiligungen von Frauen mit Kopftuch im Arbeitsleben ist oft schon im Bewerbungsprozess spürbar, noch bevor sie einen Job überhaupt bekommen haben:
So hat eine Befragung unter Personalverantwortlichen vor einigen Jahren gezeigt, dass rund 40 Prozent eine Muslimin mit Kopftuch erst gar nicht einstellen würden, auch wenn diese für die Arbeit ausreichend qualifiziert ist.
Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nur ökonomisch falsch.
Es ist auch nicht rechtens.
Doch nicht nur am Arbeitsplatz werden Menschen benachteiligt, sondern auch auf dem Wohnungsmarkt oder in der Freizeit, wenn ihnen zum Beispiel wegen ihrer vermeintlichen Herkunft der Einlass in die Diskothek verweigert wird. Ich kann Ihnen nur raten: Wehren Sie sich gegen Benachteiligungen dieser Art – und suchen Sie Rat, beispielsweise bei der Antidiskriminierungsstelle. Wir geben eine juristische Ersteinschätzung zum Thema. Wir können uns auf Wunsch für eine gütliche Einigung einsetzen. Und wir versuchen, Arbeitgeber gegen Diskriminierungen zu sensibilisieren.
So setzen wir uns unter anderem für anonymisierte Bewerbungsverfahren ein, um Ausgrenzungen im Bewerbungsprozess vorzubeugen. Und anstatt Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften das Tragen von religiösen Symbolen zu verbieten, plädieren wir dafür, Heranwachsenden die Bedeutung von Selbstbestimmung zu vermitteln. Um in Schulen für Diskriminierung zu sensibilisieren, haben wir überdies den Schulwettbewerb fair@school ins Leben gerufen. Dieses Jahr zeichnen wir zum dritten Mal vorbildliche Schulprojekte aus, die sich aktiv dafür einsetzen, Diskriminierungen zu verhindern und Vielfalt und Chancengleichheit zu stärken.
Darüber hinaus ist es uns ein wichtiges Anliegen, junge Menschen bezüglich ihrer Rechte aufzuklären – zuletzt mit unserer Kampagne #darüberreden. Das Wissen um die eigenen Handlungsmöglichkeiten ist eine wichtige Voraussetzung, um sich im Alltag gegen jegliche Formen von Benachteiligung wehren zu können.
Leider beobachten wir schon seit einiger Zeit, dass es bei vielen privaten Arbeitgebern im Falle von Diskriminierungen wegen des Kopftuchs kein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein mehr gibt.
Und wenn ich nun sehe, dass einige Unternehmen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Anlass nehmen wollen, Frauen mit Kopftuch über den Trick einer „weltanschaulichen Neutralität“ fernzuhalten, dann sehe ich das schon mit Sorge.
Allerdings sollten Arbeitgeber sich hier nicht zu sehr in Sicherheit wiegen: Ein solches Konzept muss sachlich gerechtfertigt sein und konsequent umgesetzt werden.
Man kann die Neutralität nicht einfach aus dem Ärmel zaubern, wenn es darum geht, die eigenen Vorurteile verteidigen zu wollen – auch das hat der Drogeriefall klar gemacht.
Für uns ist klar:
Die Religionsfreiheit ist ein unverrückbares Prinzip des Grundgesetzes, mit dem unser Land zudem sehr gute Erfahrungen gemacht hat.
Wir haben bei uns ganz bewusst kein laizistisches System, sondern einen Staat, der religiöse Vielfalt achtet, schätzt und auch bewusst fördert, etwa durch die Möglichkeit des Religionsunterrichts.
Der säkularisierte Staat ist zwar nicht religiös, aber er ist auch nicht religionsfeindlich. Wie hat es der große deutsche Verfassungsrechtler und –richter Ernst-Wolfgang Böckenförde zu Recht formuliert?
"So wie der Staat offen ist, das Christentum als wichtigen Bestandteil unserer Kultur anzuerkennen und zu fördern, so müssen auch Einwanderer ihre Religion privat und öffentlich bekennen können. Integration setzt ein Lebenkönnen aus den eigenen Wurzeln voraus."
So Ernst-Wolfgang Böckenförde. Und er hat Recht.
Ich sage das mit aller Deutlichkeit: Ich sehe keinen überzeugenden Grund dafür, in Deutschland die Religion aus dem öffentlichen Leben und aus dem Arbeitsmarkt herauszudrängen.
Religiöse und weltanschauliche Vielfalt ist bei uns zu Recht Staatsräson, und wir sollten stolz darauf sein, dass hier Katholiken und Protestanten, Juden und Muslime in Vielfalt zusammenleben.
Ihnen das Kreuz, die Kippa oder das Kopftuch zu verbieten, das halte ich für staatliche oder unternehmerische Intoleranz.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich finde es gut und wichtig, dass Sie sich heute der Frage widmen wollen, wie das Vertrauen in die pluralisierte Gesellschaft, in der wir leben, zurückgewonnen werden kann. Wie kann Pluralisierung und damit auch religiöse, kulturelle oder sexuelle Vielfalt als Bereicherung und Chance, statt als Bedrohung, wahrgenommen werden?
Bei dieser Frage geht es ja nicht nur um das Vertrauen in eine pluralisierte Gesellschaft, sondern auch um das Vertrauen, welches jeder Mensch in sich selbst hat.
Ich möchte an Ihr Selbstvertrauen appellieren, den gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen mutig gegenüberzustehen und hoffe, dass Sie nicht müde werden, sich für eine freie, demokratische und gerechte Gesellschaft einzusetzen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine spannende Veranstaltung, intensive Diskussionen und einen produktiven Austausch. Vielen Dank!