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Pressekonferenz zum Jahresbericht 2019 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Rede von Bernhard Franke, dem kommissarischen Leiter 03.06.2020 | Redner*in: Bernhard Franke

Sehr geehrte Anwesende!

Ich begrüße Sie herzlich zur Vorstellung des Jahresberichts 2019 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Wir möchten Ihnen mit diesem Bericht wieder einen Überblick über unsere Arbeit geben, vor allem über die Tätigkeit unserer Beraterinnen und Berater, die im vergangenen Jahr 3580 Anfragen zu Diskriminierung erhalten , Betroffene juristisch beraten und – wo möglich – Lösungen vermittelt haben.
3580 Anfragen – das ist nicht einfach eine abstrakte Zahl. Dahinter stehen Menschen, denen Unrecht widerfahren ist.

Wie im Fall der Altenpflegerin, der gekündigt wurde, weil mehrere Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeeinrichtung sich von einem Menschen ihrer Hautfarbe nicht waschen lassen wollten.
Wie im Fall des Mannes, der sich auf eine Mietwohnung bewarb und vom Vermieter die Antwort erhielt: "Geh zurück nach Syrien und bau lieber dein Land auf. Keine, Zitat, Kanaken erwünscht."
Oder, ein Fall aus diesem Januar, zu Beginn der Corona-Pandemie: Die Frau, der ihre Hausärztin den vereinbarten Behandlungstermin mit Verweis auf ihre chinesische Staatsbürgerschaft absagt. Dabei war die Frau seit Monaten nicht in China.

In all diesen Fällen geht es um mögliche Verstöße gegen das Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, der Arbeitsgrundlage unserer Stelle.
Die Rechtsberatung für von Benachteiligungen betroffene Menschen ist eine der drei gesetzlichen Aufgaben, die das AGG der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zuweist. Die beiden anderen sind die Forschung und die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Diskriminierung.

Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die Zahlen der Beratung werfen.
Wie bereits eingangs gesagt, gingen im Jahr 2019 3.580 Anfragen bei der Beratung der Antidiskriminierungsstelle ein,
die sich auf mindestens eines der im AGG geschützten Merkmale, also die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Lebensalter oder die sexuelle Identität bezogen.

Nicht eingerechnet ist dabei die Vielzahl von Anfragen, die uns zu Benachteiligungen erreichen, die nicht vom AGG erfasst werden, etwa Fragen im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft, dem Aussehen oder dem Familienstand.

Die Zahl der Beratungsanfragen ist erneut gestiegen.

Wenn wir uns aber ansehen, wie sich die Anfragen auf die im AGG geschützten Merkmale verteilen, dann sehen wir vor allem, dass der Anteil der Anfragen, die sich auf das Merkmal ethnische Herkunft bzw. auf rassistische Zuschreibungen beziehen, 2019 noch einmal zugenommen hat und nun bei genau einem Drittel, bei 33 Prozent liegt.

Es folgen Anfragen wegen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts mit 29 Prozent, aufgrund von Behinderungen mit 26 Prozent, aufgrund des Alters mit 12 Prozent, wegen der Religion mit sieben Prozent, Benachteiligungen aufgrund sexueller Identität mit vier Prozent und solche wegen der Weltanschauung mit zwei Prozent. Rechnen Sie all das zusammen, kommen Sie auf mehr als 100 Prozent, denn in der Beratung kommt es oft zu Mehrfachnennungen, etwa wenn Menschen wegen ihrer Herkunft und ihrer Religion oder wegen ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden.

Die meisten Anfragen, 36 Prozent, beziehen sich dabei auf das Arbeitsleben. Dabei geht es also um Benachteiligungen im Beruf oder in Bewerbungsverfahren. Auch Beschwerden wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind hier erfasst.

Am zweithäufigsten wandten sich Personen an uns, weil sie eine Benachteiligung bei Alltagsgeschäften erlebt haben, insgesamt 26 Prozent.

Dazu zählen Benachteiligungen auf dem Wohnungsmarkt ebenso wie fehlende Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen oder auch diskriminierende Einlasskontrollen bei Clubs oder Diskotheken.
In den übrigen Fällen ging es um Lebensbereiche, in denen das AGG nicht greift, zum Beispiel bei Diskriminierungen durch Behörden oder durch Äußerungen Dritter in den Medien oder online.

Das, was wir in unserer Beratung sehen, sind in der Regel nicht die extremsten, die gewaltförmigen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung. Die Beratungsstellen für rechte Gewalt haben davon erst neulich berichtet. Wir sehen sie auch in den Taten von Halle und Hanau.
Was wir aber in unserer Arbeit aufnehmen, das ist sozusagen das Grundrauschen der Ausgrenzung.

Die ganz selbstverständlichen, fast beiläufigen, nicht selten sogar unbewussten Versuche, Menschen auszusortieren aufgrund bestimmter, auch nur zugeschriebener Merkmale.
Wir sehen, und das bestätigt die Sozialforschung, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen sich an uns oder an eine andere Beratungsstelle wenden. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber können uns als Gesellschaft kaum beruhigen:
Menschen kennen oft ihre Rechte nicht. Auch wenn ihre Benachteiligung klar verboten ist.
Menschen denken, dass die weitere Konfrontation mit dem Geschehenen eine zu große Belastung ist. Und tatsächlich bedeutet es ja Kosten, Zeit und psychischen Stress, sich juristisch zu wehren.
Menschen denken, dass „es alles nichts bringt“. Und ja, es ist in diesem Land zu schwierig, als von Diskriminierung betroffene Person das Recht durchzusetzen.
Erst vor wenigen Wochen hat die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ein Expertengremium des Europarats, es Deutschland ins Stammbuch geschrieben: Die Bundesrepublik muss ein wirksameres System zur Unterstützung Betroffener aufbauen.

Das bedeutet aus meiner Sicht zweierlei:
Im föderalen Staat ist es nur folgerichtig, wenn alle Bundesländer eigene Antidiskriminierungsstellen etablieren. Bisher hat das erst die Hälfte der Länder getan, sodass die Beratungslandschaft lückenhaft bleibt. Und es gibt zentrale Lebensbereiche und Politikfelder, die voll in der Zuständigkeit der Länder liegen, wie der gesamte Bildungssektor und die Arbeit der Polizei der Länder. Es darf hier auf Dauer keine Schutzlücken geben. Deshalb ist es ein wichtiger und richtiger Schritt, dass Berlin nun als erstes Bundesland ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat. Auch das sollte mittelfristig in allen Ländern geschehen. Wie übrigens auch alle Länder unabhängige Polizeibeauftragte schaffen sollten, die es bisher nur in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz gibt. Wenn selbst 18 Prozent der hessischen Polizistinnen und Polizisten angeben, rassistische Sprüche von Kolleginnen und Kollegen gehört zu haben, liegt doch auf der Hand, dass es rassistische Diskriminierung natürlich auch bei bei der Polizei gibt. Obwohl wir hier gar keine gesetzliche Zuständigkeit haben, haben wir seit 2006 mehr als 200 Anfragen zu Racial Profiling erhalten,
Es braucht also eine systematische Erfassung solcher Fälle, mit klaren Beschwerdestrukturen.

Der zweite Punkt: Wenn im kommenden Jahr das AGG 15 Jahre alt wird, dann muss es modernisiert werden und der gesellschaftlichen Realität angepasst werden. Zu häufig erleben wir, dass Menschen auf die Beschränkungen des AGG mit Unverständnis reagieren . Es muss in allen zentralen Lebensbereichen greifen, und dazu gehört das weite Feld des staatlichen Handelns. Die Antidiskriminierungsstellesollte darüber hinaus in den Stand versetzt werden, Betroffene deutlich stärker unterstützen zu können – zum Beispiel durch ein erweitertes Auskunftsrecht und durch ein eigenes Klagerecht. Auch ein Klagerecht für Antidiskriminierungsverbände würde hier helfen. Und die viel zu kurzen Fristen, um eine Diskriminierung juristisch geltend zu machen, müssten so verlängert werden, dass sie der Rechtsdurchsetzung nicht im Wege stehen – von zwei auf mindestens sechs Monate.
Das Gefühl, mit einer offenkundigen Ungerechtigkeit alleine gelassen zu werden, hat auf Dauer eine fatale Wirkung, die auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Diskriminierung zermürbt. Menschen, die Diskriminierung tagtäglich erfahren, die die Gesetzgebung dagegen aber wiederholt als wenig effektiv erleben, kommen zu dem Schluss, dass es dem Staat mit der Bekämpfung von Diskriminierung nicht wirklich ernst ist. Und diejenigen, die andere ausgrenzen, glauben zu lernen, dass Diskriminierung als lässliche Sünde gilt, weniger gravierend als etwa ein Verstoß gegen Umwelt- oder Datenschutzgesetzgebung.
Eine AGG-Reform gehört darum dringend mit auf die Agenda des Kabinettsausschusses gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Denn wir werden gegen rassistischen Hass in seiner extremsten Form nicht erfolgreich vorgehen können, wenn wir die Diskriminierung im Alltag als nachrangig behandeln.
Deutschland muss mehr tun im Kampf gegen rassistische Diskriminierung.

Wir müssen die rechtlichen Werkzeuge schärfen, um verbotener Diskriminierung auch zuverlässig Konsequenzen folgen zu lassen.
Der Bericht greift einige Felder auf, in denen das geschehen sollte. Zum Beispiel bei den geschützten Merkmalen, zu denen die Nationalität, anders als etwa in Frankreich, nicht ausdrücklich zählt. Oder bei der Frage, ob der Diskriminierungsschutz auch beim Arztbesuch vollumfänglich greift.
Das Beratungsaufkommen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wirft nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Schlaglicht auf das Vorkommen von Diskriminierung in Deutschland. Viele Betroffene wenden sich an andere Beratungsstellen oder direkt an Anwältinnen und Anwälte, viele melden sich auch nirgends.

Liebe Anwesende, der Jahresbericht 2019 blickt auf die Zeit vor Corona. Wir stellen in den letzten Wochen fest, dass die Pandemie das Thema Diskriminierung nicht verschwinden lässt – im Gegenteil. In der Krise treten Ungleichheiten schärfer zu Tage, und wir erleben erneut auch eine Suche nach Sündenböcken. Vor einigen Wochen haben wir einen Zwischenstand der Anfragen mit Coronavirus-Bezug veröffentlicht. Seither haben sich die Anfragen noch einmal mehr als verdoppelt.
Viele von ihnen betreffen die rassistischen Erfahrungen von Menschen asiatischen Aussehens. Aber auch viele Menschen mit Behinderungen wenden sich an unsere Stelle, weil sie sich in der Krise besonders benachteiligt sehen. Etwa da, wo Menschen mit chronischen Erkrankungen eine Maskenpflicht auferlegt wird, die für sie nicht erfüllbar ist. Oder dort wo die Einkaufswagenpflicht ausnahmslos auch für Menschen gelten soll, die einen Rollstuhl oder einen Rollator benutzen.
Das Coronavirus fordert uns und es zeigt wie unter einem Brennglas, wo in unserer Gesellschaft Handlungsbedarf liegt.

Rassismus und Diskriminierung erschüttern das Gefühl von Menschen, in diesem Land als voll zugehörig angesehen zu werden. Vertrauen werden wir nur aufbauen können, in dem wir das Signal setzen, dass Ausgrenzung nie akzeptiert wird, auch im vermeintlich Kleinen nicht. Das gilt auch für den Bereich des rechtlichen Diskriminierungsschutzes.

Seine Stärkung gehört darum auf die Agenda ganz nach oben und darf auch und gerade in der Krise nicht auf bessere Zeiten vertagt werden.
Vielen Dank.